Einsame Weihnachten in der Fremde

Einsame Weihnachten in der Fremde
Weihnachtsgeschichte über Heimweh an Weihnachten

Weihnachtliche Kurzgeschichte für Erwachsene über Heimweh an Weihnachten: Josef, ein deutscher Austauschschüler in den USA, erlebt ein bittersüßes Fest fernab der Heimat, geprägt von kulturellen Missverständnissen und tiefer Sehnsucht. Wird es das einsamste Weihnachtsfest seines Lebens? Und zunächst geht tatsächlich alles schief.

Weihnachtsgeschichte über Heimweh an einem Tag, an dem alles schief geht

Mehr als vier Monate seines 18. Lebensjahres verbrachte Josef, „Sepp“ Gschwendner nun schon als Austauschschüler in einer kleineren Großstadt im Nordwesten der USA. Als amerikanischer „Joseph“ war er an seiner Highschool nicht unbeliebt und hatte einige nette, oberflächliche Freundschaften geschlossen. Nachdem im Herbst nach den ersten Wochen die Überwältigung des gänzlich anderen Lebens im Ausland zu einer Art Routine geworden war und die alltägliche Herausforderung, sich etwas Neues trauen zu müssen, zum Alltag geworden war, spürte er etwas Neues, das er so seit seiner Kindheit nicht mehr gekannt hatte. Ähnlich wie in der Jugendherberge im Bayerischen Wald vor acht Jahren machte sich Heimweh bemerkbar. Ein Heimweh, das aber nicht mit einem simplen Telefonanruf bei seiner Mutter, die ihn innerhalb von drei Stunden hätte abholen können, auch nur ansatzweise gelindert werden konnte. Dieses beinahe körperlich spürbare Heimweh wuchs durch die langsam zutage tretende Erkenntnis, dass er noch lange, lange Zeit hier in den USA zu bleiben hatte, zu einem nahezu existentiellen Schmerz. Mit den nahenden Weihnachtstagen wuchs diese schmerzhafte Sehnsucht nach Zuhause ins kaum erträgliche an. Beim Anblick der leuchtenden Christbäume dachte er an die bayerischen Fichten daheim. Wenn er mit seiner Gastfamilie abends Pork mit Mashed Potatoes aß, sehnte er sich nach dem heimischen Tisch in der Küche, wo er mit seiner Mama, seinem Papa und seinem Bruder so oft so herrlich gelacht und gestritten hatte. Jedes Mal, wenn er in der Shopping-Mall das Lied „Silent Night“ hörte, bohrte die Erinnerung an die Heiligabende daheim ein wehmütiges Loch ins Herz. Auch etwas, das nicht da war, erinnerte ihn an daheim und er spürte, wie sehr es ihm fehlte: der Schnee. Es war ein trockener, etwas zu warmer Dezember und statt Schneeflocken nieselten graue Regentropfen zu Boden.

So aufregend es war, seit einem Vierteljahr in die 12. Klasse einer amerikanischen Highschool zu gehen, so sehr sehnte er sich danach, wenigstens an Weihnachten zu Hause zu sein. Er hatte schon so viel erlebt, so viele neue Menschen, so viele großartige Orte in den USA kennengelernt, dass ihm eine Stimme ins Ohr flüsterte, es sei nun Zeit, wieder zu gehen. Natürlich ahnte Josef, dass er den besten Teil seines Auslandsjahres verpassen würde, wenn er jetzt seinem Heimweh nachgab und den nächsten Flug nach Hause genommen hätte. Und wer weiß, wenn dieser Heiligabend anders gelaufen wäre, vielleicht hätte er es durchgezogen. 

 


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Seine Gasteltern spürten natürlich, dass es ihrem Joseph, den sie, wie es die Art vieler Amerikaner ist, sofort tief ins Herz geschlossen hatten. Sie fragten ihn, was er sich am meisten zu Weihnachten wünschte, ob es etwas gäbe, was sein Heimweh lindern könnte. Josef schüttelte den Kopf. Aber dann fiel ihm doch etwas Materielles, etwas Weltliches ein, was ihm fehlte, seitdem er in Amerika lebte: „Do you know, what Leberkäse is?“, fragte er. Natürlich schüttelten seine Gasteltern den Kopf. Aber sie versprach, sich etwas auszudenken. 

In den Tagen vor Weihnachten telefonierte und schrieb er viel mit seinen Eltern. Seine Mutter wollte wissen, was er sich wünschte. Josef bekämpfte sein Heimweh überwiegend mit Musik, die ihn an daheim erinnerte. Er hatte sich eine Spotify-Liste mit seinen Lieblingsliedern von LaBrassbanda, Wanda, Bilderbuch, STS, Haindling und wie sie alle hießen, erstellt. Am meisten fehlten ihm aber die Songs seiner regionalen Lieblingsband. Die Band hieß „Sie Singer“ und spielte alternativen Rock mit linksgrünen deutschen Texten. Mit seinen Freunden war er den ganzen Sommer über auf sämtlichen Konzerten gewesen und die beste Zeit gehabt. Sie hatten pünktlich zu Weihnachten aus den besten ihrer Songs ein Album pressen lassen. Das musste er unbedingt haben, da es nirgends online erhältlich waren. Er hatte seiner Mutter mehrere Hinweise gegeben, dass ihn wenig mehr freuen würde, als ein Päckchen mit der CD geschickt zu bekommen.

Und tatsächlich kam kurz vor Weihnachten Post aus Deutschland. Das Päckchen hatte exakt die Form einer CD. „Für Weihnachten“ stand darauf. Josef gab es an seine Gasteltern, mit der Bitte, es unter den Christbaum zu legen.

Die Tage vor Weihnachten hielt es Josef kaum aus. Er dachte ununterbrochen an zu Hause, an seine Freunde, an das Mädchen, wegen dem er so oft zu den Singer-Konzerten gegangen war. Und an seine Familie. Er hätte nie gedacht, dass man seine Familie so sehr vermissen konnte. In der Schule konnte er sich kaum konzentrieren und seine Gedanken schweiften immer wieder in längst vergangene Weihnachten ab. Das Weihnachten, als ihm das Christkind das Piratenschiff brachte. Das legendäre Weihnachten, als er und sein Bruder die Nintendo Switch bekamen. Josef roch förmlich den Duft der Weihnachts-Bratwürste, den er immer mit Heiligabend verband. Letztes Jahr war er an Heiligabend verkatert, weil sie am Vorabend auf dem Singer-Weihnachtskonzert waren. Alle Freunde waren da gewesen. Es war das vielleicht schönste Weihnachten, weil er an Heiligabend schon vor der Bescherung so glücklich war, wie man nur sein konnte. Unter dem Christbaum lag schließlich das Flugticket in die USA. Es war wirklich ein unglaubliches Weihnachten. So euphorisch und durch und durch glücklich er damals war, so leer fühlte er sich nun. Die Amerikaner feierten ganz anders. Er würde bis zum Morgen des ersten Weihnachtstages warten müssen, bis es Geschenke gab. Aber er freute sich zumindest auf die CD und darauf, sie den ganzen Weihnachtstag über anhören zu können. Aber ohne Heiligabend, ohne Bescherung am Abend und ohne seine Familie würde Weihnachten irgendwie nicht Weihnachten sein. Die hatten schon am frühen Vormittag Weihnachten gefeiert und ihn euphorisch angerufen. Ihre Stimmen zu hören und wie die kleinen Cousins und Cousinen von ihren Geschenken erzählten, versetzte ihm einen tiefen Stich. Sie fehlten ihm alle so sehr.

Der 24. Dezember war ein grauer Tag und draußen nieselte es, wie schon die Tage zuvor. Bei Tageslicht deutete nichts darauf hin, dass heute Heiligabend war. Als er am frühen Nachmittag von einem ausgedehnten Spaziergang zurückkam, nahm ihn sein Gastvater beiseite. Er hätte eine Überraschung für ihn. Er würde nun mit ihm in die Stadt fahren.

Josef graute es vor dem traurig-grauen Nachmittag und den vielen wehmütigen Gedanken an zu Hause. Und weil er sich nicht die ganze Zeit fragen wollte, was seine Familie wohl gerade machte, war er ein wenig erleichtert, etwas zu unternehmen. Er fragte sich nur, was sein Gastvater wohl mit ihm vorhatte.

Die ganze Stadt war bereits weihnachtlich geschmückt. Überall winkten Plastik-Weihnachtsmänner und bunte Lichter blinken an jedem einzelnen Haus. Das Navi leitete sie in ein abgelegenes Viertel fernab des Stadtkerns. „Ich habe lange danach gesucht“, erklärte Josefs Gastvater auf Englisch. 

Als Josef sah, was sein Gastvater mit ihm vorhatte, musste er grinsen. „Original German Metzger“ stand auf dem Schild eines kleinen Lebensmittelladens. Zwischen dem Weihnachtsschmuck wehte eine bayerische Fahne und im Schaufenster waren Brezen und Maßkrüge ausgestellt. 

Eine Glocke bimmelte, als sie den etwas in die Jahre gekommenen Laden öffneten. Es roch nach einer Mischung aus muffigem Staub und Fleisch. Josefs Gastvater erzählte dem Ladenbesitzer sofort, dass Josef aus Deutschland sei. „Sprechen Sie Deutsch?“, fragte Josef. Aber der Verkäufer schüttelte den Kopf. „Ick sprecke nicht deutsch very good“, sagte er. „But my grandfather was from Stuttgart.“ 

„Ah“, machte Josef enttäuscht. Er hatte gehofft, vielleicht sogar mit jemandem bayerisch zu reden.

„Do you have a Leberkäsesemmel?“, fragte Josefs Gastvater und strahlte übers ganze Gesicht. Das Strahlen wich sofort einem enttäuschten Blick, als der Verkäufer den Kopf schüttelte. „But we have Fleischkäseweckle“. 

Josefs Gastvater tauschte einen Blick mit Josef aus. Josef versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Aber er hoffte, dass Fleischkäse vielleicht dasselbe wie Leberkäse sei. „Besser als nichts“, sagte er. 

Als der Mann tatsächlich etwas hervorkramte, das aussah wie ein langes, saftiges Stück Leberkäse, lief Josef das Wasser im Mund zusammen. Sofort erinnerte er sich an die warmen Leberkässemmeln der Metzgerei im Dorf und wie sehr er diese vermisste. „Einpacken, oder zu Hause essen?“, fragte der Verkäufer auf Englisch.

„Ich möchte sie heute Abend essen“, sagte Josef und freute sich auf einmal sogar ein klein wenig auf den Abend. 

Auf dem Heimweg merkte Josef, wie sein Gastvater ihn immer wieder von der Seite musterte. Er schien ihm wirklich eine Freude machen zu wollen. Und es war ihm letztendlich gelungen. Josef würde den ersten Leberkäse seit fast einem halben Jahr essen. Auch wenn er weder frisch noch warm war und „Fleischkäse“ hieß. „Thank you“, sagte Josef.

Als sie zu Hause ankamen, ahnte Josef, dass das gar nicht die eigentliche Überraschung war. Die Eingangstüre war abgesperrt, die Fensterläden zu und sie mussten das Haus über den Hintereingang betreten. Wie zu Hause an Heiligabend war das Wohnzimmer abgesperrt. Josefs Gastmutter empfing die beiden euphorisch. „Alles ist vorbereitet! Heute werden wir einmal Weihnachten wie in Deutschland feiern!“ 


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Spät am Nachmittag meinte Josef ganz kurz, diesen geheimnisvollen Zauber zu spüren, den man als Geist der Weihnacht umschreiben konnte. Draußen wurde es nach und nach dunkler. Und nun, da er wusste, dass er nicht auf den Weihnachtsmann warten musste, sondern noch heute das Christkindl die Bescherung bringen würde, stieg die Vorfreude. Er freute sich auf den Leberkäse, auf die CD und auch, wenn der versprochene Schnee nicht gekommen war, würde es sicher ein schönes Fest werden.

 

Seine Gasteltern schauten ihn immer wieder erwartungsfroh an. Es rührte ihn ein wenig, wie sehr sie sich anstrengten, ihm ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Auch, wenn er ihnen ansehen konnte, dass sie es völlig crazy fanden, schon a 24. Dezember Weihnachten zu feiern. 

 

Als es draußen Dunkel wurde und mit einem großen Plink die für deutsche Augen völlig übertriebene Weihnachtsbeleuchtung anging, baten Josefs Gasteltern zu Tisch. Es gab etwas, das mit etwas Fantasie nach Kartoffelsalat aussah. Und den Leberkäse. Josef lief das Wasser im Mund zusammen. Nachdem sie ein kurzes Tischgebet gesprochen hatten, probierte Josef als Erstes den Kartoffelsalat. "Ich habe lange nach einem Rezept gesucht", sagte die Gastmutter stolz. 

 

Als er die Gabel mit dem Kartoffelsalat zum Mund führte, roch er sofort, dass damit etwas nicht stimmte. Und es schmeckte auch, wie es roch. Der Kartoffelsalat triefte nach Mayonnaise. Das war vielleicht ein deutscher Kartoffelsalat, aber alles andere als ein bayerischer. Josef versuchte nachsichtig zu sein, woher sollten Amerikaner wissen, dass Deutschland nicht dasselbe war wie Bayern und er ließ sich nicht anmerken, wie ekelhaft es schmeckte. Der Leberkäse würde es wettmachen, dachte er und er schnitt sich ein Stück ab. Voller Vorfreude führte er es zum Mund und biss herzhaft hinein. Was war das denn? Es schmeckte labbrig. Es schmeckte nach etwas, wie sich vermutlich Amerikaner Leberkäse vorstellen. Es schmeckte noch scheußlicher wie der Kartoffelsalat. Die Gasteltern schauten Josef erwartungsfroh an. "Mmmh", machte Josef und schämte sich. Mit Hängen und Würgen aß er seinen Teller auf und dachte sich eine halbherzige Ausrede aus, als ihm ein Nachschlag angeboten wurde. "Ich will unbedingt morgen auch noch was davon haben", log er. 

 

Dann klingelte im Wohnzimmer ein Glöckchen.  Josef verdrängte den Leberkäse-Flop und dachte daran, dass ihm immerhin jetzt ein viel wichtigerer Herzenswunsch gleich erfüllt werden würde.

 

Als sich die Türe öffnete und sie das Weihnachts-Wohnzimmer betraten, hätte Josef beinahe laut losgelacht. Statt einer dezent geschmückten Tanne stand dort ein im Las-Vegas-Style blinkender Plastik-Weihnachtsbaum. Als er sogleich das schmale quadratische Päckchen entdeckte, spürte er dennoch ein wenig die Weihnachts-Aufregung. Doch zuvor mussten sie noch gemeinsam "Sielnt Night" singen. Josef konnte nur den deutschen Text und bewegte unsicher die Lippen dazu. Die Bescherung bestand darin, dass beide Josef voller übertriebener Begeisterung dabei beobachteten, wie er die Geschenke auspackte. Josefs Gastmutter hatte sich die Mühe gemacht, ein halbes Dutzend Lebensmittel aufwändig zu verpacken. Josef packte eine Kellogs-Box, oder eine Milchpackung aus und wusste nicht, ob das ein Scherz war, oder ob erwartet wurde, dass er sich freute. Er behalf sich mit einer Mischung aus Schmunzeln und Freude. Es war bereits jetzt das seltsamste Weihnachtsfest, das er je erlebt hatte. Zu guter Letzt nahm er das quadratische Päckchen aus Deutschland. Er öffnete zuerst die dazugehörige Karte. In der wohlbekannten Schrift seiner Mutter stand dort:  "Wir wünschen die von Herzen frohe Weihnachten. Wir vermissen Dich. Deine Familie." Josef wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Dann sah er, dass auf der Rückseite noch etwas stand:  "PS: Die CD, die Du wolltest, habe ich nicht gefunden. Ich hoffe, Du freust Dich auch über diese."

 

Wie bitte? Dachte er und riss aufgeregt das Päckchen auf. Hoffentlich war es irgendeine andere Band von daheim. Er riss die Verpackung auf und starrte auf das Cover, das darunter zum Vorschein kam. Einen Moment lang dachte er, es zieht ihm den Stecker. Aber nicht im positiven Sinn. Seine Mutter hatte ihm tatsächlich das neue Album von Tailor Swift geschickt. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte. Dass seine Mutter völlig arglos das aktuell auf Nummer 1 der Album-Charts stehende Album gekauft hatte, ohne zu hinterfragen, ob er diese Musik überhaupt mochte. Gut, er fand Tailor Swift nicht total schlecht, auch, wenn er das nie zugeben würde. Am meisten schockierte ihn aber, dass seine Mutter anscheinend noch nie etwas von Streaming gehört hatte. Er hatte sich die Songs schon dutzende Male auf Spotify angehört. Man musste ein Album aus den USA nicht in Deutschland kaufen und mit Luftpost zurück in die USA schicken. Josef musste sich hinsetzen. "Everything ok?", fragte, seine Gastmutter. "Ja. Ich bin einfach so glücklich", log er. Es war das schlimmste Weihnachten aller Zeiten.

 

Den Rest des Abends setzte sich Josef in seinen großen Lieblingssessel und gab sich ganz und gar seinem Heimweh hin. Er hätte den ganzen Tag heulen können. Er dachte an die Singer-Konzerte im Sommer, wie glücklich er gewesen war, wie verliebt und wie sehr er alle seine Freunde und das Mädchen vermisste. Seine Gasteltern spürten natürlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber sie ließen ihn in Ruhe.

 

Bevor es für alle unerträglich wurde, schlug sein Gastvater schließlich vor, dass sie noch in die Kirche spazieren wollten, um die Christmette zu besuchen. Es konnte nicht mehr schlimmer werden und Josef nickte.

 

Die frische Luft tat ihm gut. Ein eisiger Wind war aufgekommen und Josef war froh, dass er eine Stunde grübelnd in der Kirche sitzen konnte und nichts sagen musste und stumm den Tränen freien Lauf lassen konnte, ohne, dass es in der finsteren Kirche jemand sah.

 

Gegen Ende des Gottesdienstes schaute er kurz auf sein Handy.  Sein bester Freund hatte ihm ein Foto geschickt. Ein Gruppenfoto von allen, die gemeinsam sein Foto hochhielten. "Wir feiern Dich und vermissen Dich. Frohe Weihnachten!" Am schönsten aber war, dass das Mädchen auch auf dem Foto war.

 

Im selben Moment wurden überall in der Kirche Kerzen angezündet. Ganz vorne standen zwei Männer. Einer hatte eine Gitarre umgeschnallt.  Ganz leise, aber laut genug, dass man es in der ganzen, mucksmäuschenstillen Kirche hören konnte, sangen sie zur Gitarrenbegleitung "Silent night". Und nach drei Strophen geschah etwas Magisches: Sie sangen die erste Strophe noch einmal. Und zwar auf Deutsch. „Stille Nacht - Heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht …“ und Josef sang leise mit. Zeile für Zeile, Wort für Wort. Und auf einmal liefen ihm in der Dunkelheit der Kirche Tränen über die Wangen. Er wusste nicht, ob aus Traurigkeit, oder aus Glück, was für ihn unfassbar schön war. Josef begann immer lauter zu singen und da er der offensichtlich der textsicherste in der Kirche war, übertönte seine Stimme bald die der anderen. Aber es war ihm egal. Er hatte gleichzeitig Heimweh und fühlte sich so daheim, so angekommen, wie nie zuvor. „Schlaf in himmlischer Ruh!“, sang er mit fester, lauter Stimme. Dann war es wieder ganz still in der Kirche. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich an den Fenstern der Kirche dicke Schneeflocken gebildet hatten. Er wischte sich rasch über die Augen und lächelte übers ganze Gesicht. Er spürte die Hand seines Gastvaters, der ihn kurz in den Arm nahm. Dann begann die ganze Kirchengemeinde zu klatschen. Laut und euphorisch. Die Menschen wünschten sich herzlich frohe Weihnachten und die Messe endete in einem lauten, euphorischen Trubel. Josef war mit einem Mal glücklich. So glücklich wie man es nur an Weihnachten sein kann. Und dann geschah das eigentliche Weihnachtswunder. 

 

Als die große Tür des Hauptportals aufgemacht wurde, stieben Schneeflocken in die Kirche. Die Landschaft draußen war nicht mehr wiederzuerkennen. Alles war weiß. Es musste die letzten anderthalb Stunden ununterbrochen geschneit haben. Zwischen dem orange illuminierten Laternenlicht der Straßenbeleuchtung glitzerte silbern der zentimeterhohe Schnee. Die Menschen stapften durch den tiefen Schnee nach draußen. Erste Schneebälle flogen. Die Weihnachtsbeleuchtung an den Häusern hatte ihr groteskes Aussehen in weihnachtliche Schönheit getauscht. 

 

Josef genoss jeden Meter des langen Heimwegs. Die ganze Stadt, die ganze Welt war wie ausgetauscht, wie verändert. Als sie in ihrem Stadtteil ankamen, deutete seine Gastmutter auf die Telefonleitung. Sie tanzte. Wie von Zauberhand bewegt, tanzte sie zwischen den Schneeflocken, als schüttelte sie ihre weiße Schneehaube ab. „Wie ist das möglich?“, fragte Josef. Sein Gastvater zuckte die Schultern. „It’s a miracle“, sagte er. „It’s a christmas-miracle.”

 

Ende

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