Interpretation von Kurzgeschichten

Kurzgeschichten können auf verschiedene Weise interpretiert werden - Hier einige Beispiele

Alle Schüler kennen die Herausforderung, dass sie in den späteren Jahrgangsstufe eine Kurzgeschichte interpretieren müssen. Die Interpretation von Kurzgeschichten ist nicht immer ganz leicht, weil man auf mehrere Ebenen achten muss: Da ist zunächst der Inhalt der Kurzgeschichte. Worum geht es? Warum erzählt der Autor diese Geschichte? 

Oft ist der Inhalt der Kurzgeschichte aber ähnlich wie die Spitze des Eisberges: Es steckt viel mehr dahinter. Also sollte auch der Text "zwischen den Zeilen" interpretiert werden. Dies kann man beispielsweise mit der Analyse des Stils erreichen: Welche Worte benutzt der Autor? Warum benutzt er sie - und was bewirken die Worte in der Kurzgeschichte? Der Stil des Autors kann in Verbindung mit dem Inhalt der Geschichte helfen, die richtige Interpretation zu finden.

Praktische Beispiele, wie Kurzgeschichten interpretiert werden können:

Da viele meiner Kurzgeschichten von Schüler/innen aus ganz Deutschland gelesen und interpretiert werden müssen, gebe ich Euch hier einige Tipps und Hinweise, wie man ausgewählte Geschichten gut interpretieren könnte. Ihr habt noch andere Fragen? Schreibt mir unten einen Kommentar!

Interpretation Kurzgeschichte "Am Altwasser"

Hintergrund: Der Text "Am Altwasser" ist während einer Textwerkstatt des Schriftstellers Arwed Vogel entstanden. Aufgabe an den Autor war es, mit veschiedenen Stilmitteln eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen.

Der Titel "Am Altwasser" ist eine Referenz an die berühmte Kurzgeschichte "Brudermord am Altwasser" von Georg Britting.

Die Kurzgeschichte spielt während des ersten Corona-Lockdowns. Sie ist also von Erfahrungen und Ängsten aus dieser Zeit geprägt.

 

Inhalt: An der Oberfläche wird von einem Spaziergang am Altwasser erzählt, der plötzlich vom Auftauchen einer fremden Gestalt gestört wird.

 

Stilmittel: Im Text werden viele Worte verwendet, die an den Tod erinnern. Durch das Stilmittel der "Auslassung" und des abrupten Abbrechen der Sätze wird eine Atmosphäre der Angst und Bedrohung erzeugt.

 

So, den Rest könnt ihr selber herausfinden!

Interpretation der Kurzgeschichte "Über die Straße zum großen Tor"

Der Tod und der Verfall sind in der Kurzgeschichte "Über die Straße zum großen Tor" subtile Themen, die sich vor allem in der Atmosphäre und den Andeutungen der beiden Protagonisten widerspiegeln. Die Gasse, die sie durchqueren, ist ein Symbol für den eingeengten und düsteren Lebensweg, den sie beide hinter sich haben. Die Mauern, die Ziegelsteine, das Moos und die Farne vermitteln einen Eindruck von Altertum und Vergänglichkeit. Die Eisengitter, die die Gärten versperren, zeigen die Unzugänglichkeit von Schönheit und Glück für die beiden Fremden. Sie sprechen nicht über ihre Probleme, aber man ahnt, dass sie beide mit Verlusten oder Krisen zu kämpfen haben. Der Autor lässt dies nur durch kleine Hinweise erkennen, wie zum Beispiel: “Ich wusste nicht, dass es Menschen gibt, die allein durch ihre Anwesenheit und die Dinge, die sie tun, und die Weise, wie sie schauen, und was sie nicht sagen, ihre Geschichte erzählen können.” Oder: “Ich war noch von den letzten Wochen zu sehr zerrüttet, als dass ich noch zu irgendeiner Art Smalltalk fähig gewesen wäre.” Der Tod ist also nicht direkt präsent in der Geschichte, sondern eher als eine latente Bedrohung oder eine unvermeidliche Konsequenz des Lebens. Der Verfall ist auch nicht explizit dargestellt, sondern eher als eine stille Resignation oder eine melancholische Stimmung. Die beiden Protagonisten suchen nach einem Ausweg aus ihrer Situation oder zumindest nach einer Ablenkung oder einem Trost. Das Tor am Ende der Gasse scheint ihnen eine Hoffnung oder eine Überraschung zu bieten. Doch was sie dort erwartet, bleibt offen. Das Ende der Geschichte ist also auch ein offenes Ende im Sinne der Kurzgeschichte. Es lässt den Leser mit Fragen zurück: Was sehen sie hinter dem Tor? Ist es eine schöne Aussicht oder eine schreckliche Szene? Ist es ein Anfang oder ein Ende? Ist es Leben oder Tod?

Interpretation der Kurzgeschichte "Vermutlich Vater und Sohn"

Hintergrund: "Vermutlich Vater und Sohn" ist eine der Kurzgeschichten, die im Literaturkurs von Arwed Vogel entstanden sind. Die ursprüngliche Fassung des Textes war eine gewöhnliche Kindheitserinnerung: Ein Vater bringt seinem Sohn bei, wie man Pfeil und Bogen bastelt. In dieser insgesamt dritten Version des Textes wurde die bis dato harmlose Kindheitserzählung im Stile des "Nouveau Roman" neu erzählt. Der neue, bedrohliche Ton ist durchaus gewollt. Er soll die Frage aufwerfen, in welchem Verhältnis sich die beiden Personen tatsächlich befinden. Und eine mögliche Bedrohungssituation andeuten. Wer bedroht allerdings wem?

 

Inhalt: Ein Mann zeigt einem Jungen detailgenau, wie sich aus Schilfrohr und einem Holunderast ein Pfeil basteln kann. Am Ende erhält der Junge einen selbstgemachten Pfeil und Bogen. Den er sogleich benutzen wird.

 

Stilmittel: Die Kurzgeschichte ist im Stil des Nouveau Romn verfasst. Lt. Real Oullett definiert sich der Nouveau Roman so: "Durch Abschaffung des Romanhelden und seiner Psychologie, durch Zerbröselung der Handlung, durch äußerst ungereimte Konstruktionen und endlose zwanghafte Beschreibungen vollkommen uninteressanter Objekte." 

Interpretation "Der Bogen des Lebens"

Die Kurzgeschichte "Der Bogen des Lebens" zeigt die Entwicklung des Erzählers von einer distanzierten und kritischen Haltung gegenüber seinem Vater zu einer akzeptierenden und liebevollen Haltung. 

 

Einleitung: Die Kurzgeschichte “Der Bogen des Lebens” von Bernhard Straßer erschien im Jahr 2023 auf der Website Chiemgauseiten.de. Sie handelt von einem Mann, der nach dem Tod seines Vaters dessen Haus besucht und dort einen Pfeil und einen Bogen findet, die er mit ihm früher gebaut hat. Die Geschichte ist im Stil des magischen Realismus geschrieben und vermittelt eine Botschaft über das Leben und den Tod. Die Deutungshypothese lautet: Der Autor will zeigen, wie der Erzähler seinen Vater besser versteht und Frieden mit seinem Tod findet.

 

Hauptteil: Die Kurzgeschichte beginnt mit einem Rückblick auf das Leben des Vaters, der nach dem Tod seiner Frau eine unkonventionelle und bescheidene Lebensweise führte. Er fuhr viel Fahrrad, legte sich in die Wiese oder schwamm im Bach hinter seinem Haus. Der Erzähler versuchte zu verstehen, warum sein Vater so lebte, kam aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. Er konnte sich auch nicht von ihm verabschieden, als er im Krankenhaus starb. Der Vater wurde eingeäschert und seine Asche stieg als weißer Rauch in den Himmel.

 

Die Geschichte springt dann in die Gegenwart, als der Erzähler das Haus seines Vaters besucht. Er findet im Gras ein altes Taschenmesser seines Vaters, das er oft benutzte, um ihm einen Pfeil oder einen Bogen zu schnitzen. Der Erzähler erinnert sich an eine Szene aus seiner Kindheit, als sein Vater ihm beibrachte, wie man einen Pfeil baut. Er geht ins Haus und findet dort den Pfeil und den Bogen wieder.

 

Der Erzähler nimmt den Bogen und geht damit auf die Wiese. Er spannt den Pfeil ein und zielt auf den Himmel. Als er loslässt, sieht er seinen Vater neben sich stehen. Der Vater lächelt ihn an und sagt: “Du hast es geschafft.” Dann verschwindet er wieder. Der Erzähler schaut dem Pfeil nach, bis er nicht mehr zu sehen ist.

 

Schluss: Die Kurzgeschichte endet mit einem offenen Ende, das dem Leser Raum für eigene Interpretationen lässt. Die mögliche Aussage oder Botschaft der Geschichte ist jedoch klar: Der Erzähler findet durch den Pfeil und den Bogen eine Verbindung zu seinem Vater wieder. Er erkennt, dass sein Vater ihm etwas Wichtiges beigebracht hat: wie man sich ein Ziel setzt und darauf hinarbeitet. Der Pfeil symbolisiert dabei den Lebensweg des Erzählers und seiner Familie sowie die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tod.

 

Die Geschichte ist im Stil des magischen Realismus geschrieben, da sie Elemente aus der realen Welt mit fantastischen oder übernatürlichen Elementen verbindet. Die Erscheinung des Vaters am Ende ist ein Beispiel dafür. Diese Elemente dienen dazu, die emotionale Wirkung der Geschichte zu verstärken und die Grenzen zwischen Leben und Tod zu verwischen.

 

Die Sprache der Geschichte ist schlicht und alltäglich gehalten, um die Authentizität der Handlung zu betonen. Es gibt jedoch einige sprachliche Mittel wie Metaphern oder Alliterationen , die die Bedeutung einzelner Wörter oder Sätze hervorheben oder verstärken . Zum Beispiel wird das Wort “Bogen” mehrmals wiederholt , um seine symbolische Rolle zu unterstreichen . Außerdem wird das Wort “Rauch” sowohl für die Asche des Vaters als auch für den Pfeil verwendet , um eine Verbindung zwischen beiden herzustellen .

Interpretation der Kurzgeschichte "Auf dem Zinnkopf"

Die Kurzgeschichte "Auf dem Zinnkopf" handelt von einem Schriftsteller, der mit seinen beiden Kindern an einer Schreibwerkstatt auf einer Alm teilnimmt und dabei versucht, einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten. Seine Frau hat ihren Vater verloren und hat nun keine Zeit für die Familie, weil sie ihre Trauer verarbeiten muss. Er fühlt sich von ihr im Stich gelassen. Er hofft, auf dem Gipfel des Zinnkopfes einen neuen Anfang zu finden, muss aber erkennen, dass selbst der kleinste Berg für einen Familienvater mit Kindern zu hoch sein kann.

 

Eine mögliche Interpretation der Kurzgeschichte ist, dass sie die Themen Trauer, Einsamkeit und Scheitern behandelt. Der Autor zeigt die innere Zerrissenheit des Protagonisten zwischen seinem literarischen Anspruch und seiner familiären Verantwortung. Er stellt auch die Kontraste zwischen den verschiedenen Autorenkollegen und den unterschiedlichen Landschaften dar. Die Kurzgeschichte endet mit einer offenen Frage: Wird der Protagonist jetzt vielleicht einen Roman über seinen Schwiegervater schreiben können?

 

Die Kurzgeschichte verwendet einige literarische Elemente wie Symbolik, Metaphern und Ironie. Zum Beispiel symbolisiert der Zinnkopf den kleinsten Berg in den Chiemgauer Alpen sowohl die geringe Bedeutung des Protagonisten als Schriftsteller als auch seine Unfähigkeit, seine Trauer zu überwinden. Die Metapher vom “Scheintod” des älteren Sohnes deutet auf den emotionalen Zustand des Vaters hin. Die Ironie liegt darin, dass der Protagonist sich für den besten Bergsteiger der Autorengruppe hält, aber von allen abgehängt wird.

 

Die Charaktere entwickeln sich im Laufe der Kurzgeschichte kaum oder gar nicht. Der Protagonist bleibt in seiner Verbitterung gefangen und kann weder seinen Kindern noch seinen Kollegen näherkommen. Seine Kinder sind unglücklich und verstehen nicht, warum sie auf die Alm mitkommen mussten. Die Autorenkollegen sind stereotyp dargestellt und zeigen kein Interesse an dem Protagonisten oder seiner Geschichte.

Interpretation der Kurzgeschichte "Die Ernte"

Die Kurzgeschichte "Die Ernte" scheint eine surreale und symbolische Darstellung von Beziehungen und zwischenmenschlichen Dynamiken zu sein. Die Geschichte beschreibt das Verlangen und den Heißhunger der Charaktere nach verschiedenen Dingen wie Weintrauben, Äpfeln und moralischer Überlegenheit. Diese Wünsche scheinen jedoch letztendlich unerfüllt zu bleiben und führen zu Konflikten und Untreue in den Beziehungen der Charaktere.

 

Die Geschichte scheint auch Elemente von Isolation und Einsamkeit aufzuweisen, insbesondere in der beschreibenden Sprache, die das Gefühl vermittelt, dass die Charaktere innerlich voneinander getrennt sind, trotz der äußerlichen Interaktion. Die Einsamkeit scheint auch durch das Motiv der flügelschlagenden Motte betont zu werden, die einsam um die einsame Blume kreist.

 

Insgesamt scheint die Geschichte eine pessimistische und desillusionierte Sicht auf Beziehungen zu haben und zeigt, wie menschliche Verlangen und Wünsche zu Entfremdung und Trennung führen können.

Die Bücher von Bernhard Straßer

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