Am Sonntag wollten wir, naiv wie wir sind, gemütlich in die Stadt runter gehen und die Palmweihe mit den Kindern besuchen. Dass daraus ein gehetzter Vormittag samt traumatischer Erfahrung unseres Ältesten wird, davon ahnten wir noch nichts, als wir gegen Acht, als pünktlich der Wecker ging, merkten, dass Zeitumstellung war.
Wir haben verschlafen! Dennoch, eineinhalb Stunden Vorbereitungszeit müssten doch reichen, um zu frühstücken, zwei Kinder umzuziehen und in die Stadt zu spazieren.
Ja, liebe Mamas und Papas, die ebenfalls zwei Kinder haben. Ich kann Euer Lachen bis hierher hören.
Wir hätten es vielleicht geschafft, zu frühstücken und die Kinder umzuziehen, aber wir haben in unsere Kalkulation nicht mit einberechnet, dass wir uns ja selbst auch umziehen müssen.
Trotzdem hätten wir es, obwohl Klein-Leonard just in dem Moment, als wir die Haustür hinter uns geschlossen hatten, durstbedingt zu brüllen begann, fast pünktlich zur Palmweihe geschafft.
Wenn der Aufzug zur Stadt hinauf zwei Kinderwagen Platz geboten hätte. Oder wenn der Sebastian ein etwas motivierterer Spaziergänger wäre, dann hätten wir nämlich nur einen Kinderwagen dabei gehabt und hätten nicht noch einmal minutenlang warten müssen, bis der Aufzug wieder herunterfährt.
So kamen wir, natürlich, genau in dem Moment an, in dem sich die bereits gesegnete Palmsonntagmenschenmenge in Richtung Kirche wälzte. Gehetzt wie wir waren, konnten wir keinen klaren Gedanken fassen. Und anstatt, wie die letzten Jahre auch, heimlich an der Kirche vorbei und wieder nach Hause zu gehen, strömten wir mit den Menschen in die Kirche hinein.
Und da steckten wir nun fest. Alle nickten uns anerkennend zu, so als wüssten sie, wie außergewöhnlich es ist, dass wir auch außerhalb von Beerdigungen und Weihnachten mal in die Kirche gehen. Vielleicht war in deren Blicken aber auch Mitleid zu lesen, dass wir uns mit zwei Kindern in die Kirche trauten. Denn nach wenigen Minuten verließen die ersten Eltern genervt mit ihren quengelnden Kindern die Kirche.
Womöglich lag es auch am Passionsspiel, das die Traunsteiner Kinder mit so viel Passion darboten, dass sowohl Bastian, als auch die Mama immer blasser wurden und mit offenem Mund Richtung Altar starrten: Dort spielten die Kinder das Leiden und den Tod Jesu so realistisch und wortgewaltig nach, dass Sebastian nach Jesu Tod in die Stille hinein brüllte: „Jesus! Wo is da Jesus?“
Die Mama machte den Fehler, Sebastian zu erklären, dass Jesus gestorben ist. „Jesus! Jesus!“, brüllte Bastian in den Gottesdienst hinein und war kaum noch zu beruhigen. Auch die Erklärung, dass er ja am Sonntag wieder aufersteht, brachten nichts. Dass Jesus gegeißelt wurde, sich Judas erhängt hat und auch die beiden Kinder, die neben Jesus am Kreuz hingen, gestorben sind, machten die Sache nicht besser.
Erst als Bastian nach dem Gottesdienst, er ist eines der wenigen Kinder, der bis zum Schluss durchgehalten hat, Jesus und die anderen Schauspielkinder, die für einen Ausflug Spenden sammeln, wieder entdeckte, war er beruhigt.
Am Abend schließlich, kurz vor dem Schlafengehen, kehrte das Trauma zurück: „Jesus ist storben!“, erklärte er mir.
Na dann Gute Nacht, Schatz. Und Schlaf gut!
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