Als es begann - Corona-Kurzgeschichte

Dies war eine der ersten Kurzgeschichten, die über das Thema "Corona" geschrieben wurde. Entstanden im März 2020 fand sie sofort Online Tausende Leser*innen und wurde in den folgenden Pandemiejahren wieder und wieder von Schulklassen gelesen und analysiert. Sie ist auch die titelgebende Geschichte des später entstandenen Kurzgeschichten-Bandes "Als es begann"

Corona Kurzgeschichte als es begann

Eine Geburtstagsfeier auf einer Alm mit Folgen. Eine Gruppe junger Menschen beschließt, nicht auf die offiziellen Vorgaben zu hören und trifft sich zu einer Geburtstagsfeier auf dem Berg.

Sie trafen sich am Parkplatz neben der Autobahn. Es war noch hell. Aus vier verschiedenen Städten waren sie gekommen. Einer nach dem anderen gratulierte Matthias. Sie schüttelten ihm erst zaghaft die Hand, dann zuckten sie die Schultern, gaben sich einen Ruck und umarmten ihn innig. Man hat nur einmal im Jahr Geburtstag. "Schön, dass du trotzdem feierst!", sagten sie. 

Sie wanderten den Feldweg bergauf. In den Rucksäcken klapperte das Bier. Sie erzählten sich, wie sie die letzten Tage erlebt hatten. Was sie in der Arbeit erlebt hatten, wie es ihren Frauen ging, die daheim bei den Kindern waren. Die Großeltern hätten ja tagsüber schon genug zu tun mit den Kindern, da müsse man sie nicht auch noch am Abend einspringen lassen. Aber so ohne Frauen, nur wir Männer unter uns, sei es doch eh viel schöner, waren sie sich einig. 

Wo sei eigentlich der und der?, fragten sie sich. Die hätten alle die üblichen Ausreden, schimpften sie. Beim einen seien die Kinder krank. Der andere bliebe aus Prinzip daheim. In Zeiten der Krise erkenne man die wahren Freunde, waren sie sich einig. 

Sie stiegen bergauf und als es dunkler wurde, machten sie ihre Stirnlampen an. Es war herrlich, hier in der Natur. Die frische Luft. Keine Probleme wie unten im Tal. Nichts. Nur sie, die zu sechst den Berg hinauf wanderten. 

Viel war passiert, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Sie erzählten sich vom Skiurlaub in Österreich, von den Dienstreisen durch ganz Europa, kurz bevor es begann. Irgendwie sei es ja schön, dass man jetzt endlich einmal Zeit habe, wieder daheim zu sein, fanden sie. 

 

Es wurde kälter und bald stapften sie durch den Schnee. Einer hustete. Alle lachten. Sie stiegen konzentriert in abwechselnden Konstellationen nebeneinander den Berg hinauf. Sie erkundigten sich, wie es jedem ging und waren froh, dass es keinen Grund zur Sorge gab und lachten ausgelassen gemeinsam.

 

 

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Als sie den Gipfel erreichten, war es bereits stockdunkel. Ein frostiger Wind pfiff ihnen entgegen. Sie stapften durch den knirschenden Schnee. Nicht jeder hatte auf der Gipfelbank Platz. Also rückten sie enger zusammen und versprachen, sich abzuwechseln. Jeder sollte einmal kurz neben dem Geburtstagskind sitzen können. Es wärmte angenehm, Daunenjacke an Daunenjacke neben seinen Freunden sitzen zu dürfen. Die Deckel der Bierflaschen ploppten. Mist, ich hab‘ mein Bier vergessen, sagte einer. Kannst bei mir mittrinken, sagte der andere. 

Sie stießen miteinander an. Auf deinen Geburtstag! Auf uns! Und auf die Deppen, die sich geweigert haben, mitzukommen. Prost! 

Sie tranken gemeinsam und genossen die Stille, den Frieden hier oben. 

Aus der Ferne konnte man vereinzelte Blaulichter erkennen. Ob da was passiert ist?, fragten sie sich. 

Schön, dass ihr alle gekommen seid, sagte das Geburtstagskind. Echt schade, dass ich wegen diesen Idioten meine Feier absagen musste, sagte er und seufzte. Diese Massenhysterie. Aber jetzt sind wir ja unter uns. 

Sie prosteten sich noch einmal zu und tranken auf den gesunden Menschenverstand. 

Als sie zu frieren begannen, tranken sie aus und brachen auf. Sonst fangen wir uns noch einen Katarrh ein, sagten sie und lachten. 

Bergab ging es schneller. Sie diskutierten darüber, dass sie es einfach nicht mehr hören konnten. Dieses eine Thema, über das alle sprachen. Sie waren sich einig, dass es notwendig und richtig war, dass sie rausgegangen waren. Man muss ja raus, sonst wird man ja verrückt. So wie die, die jetzt schon daheim sitzen. Panisch und verängstigt. Sie lachten wieder. Einer warf die Frage auf, ob die anderen glaubten, dass die Quarantäne käme. Die käme sicher, waren sie sich einig. Deshalb sei es so wichtig, noch einmal etwas gemeinsam zu unternehmen. Bevor die Hysteriker das Sagen hätten. Wir haben keine Angst vor dem Virus, sagten sie. Wir sind noch jung. Das bisschen Halskratzen haut uns nicht um. Außerdem kommt das sowieso nicht zu uns. 

 

Unten am Parkplatz verabschiedeten sie sich voneinander. Sie umarmten sich innig, als würden sie sich lange nicht mehr sehen. Lasst euch nicht verrückt machen von der Panikmache, sagten sie. Grüß mir deine Mama, wenn du sie das nächste Mal siehst, sagten sie dem Geburtstagskind. Sie solle auf sich aufpassen und vorsichtshalber von den Leuten fernhalten, sagten sie. Nicht, dass sie sich bei jemanden ansteckt. Mache ich, sagte das Geburtstagskind. Sie passt morgen eh auf die Kinder auf, dann richte ich es ihr aus. Sie reichten sich zum Abschied noch einmal die Hand und umarmten sich lange. Dann trennten sich ihre Wege. 



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Kommentare: 9
  • #9

    Sepp Gschwentner (Dienstag, 23 Mai 2023 14:07)

    Wenn Sie schon immer wissen wollten, wie es ist, mit einer Gruppe von langweiligen Typen einen Berg zu besteigen und dabei über die Corona-Krise zu jammern, dann ist dieses Buch genau das Richtige für Sie. Bernhard Straßer hat es geschafft, eine Kurzgeschichte zu schreiben, die so spannend ist wie eine Wanderkarte. Die Charaktere sind so flach wie die Landschaft, die sie durchqueren, und die Dialoge sind so tiefgründig wie ein Pausenbrot. Die Geschichte hat keinen Höhepunkt, keinen Konflikt und keine Auflösung. Sie endet einfach, als die Freunde wieder ins Tal kommen und feststellen, dass sich nichts geändert hat. Das ist wohl die Botschaft des Autors: Das Leben ist sinnlos und langweilig, und wir können nichts dagegen tun. Wie erfrischend!

    Wenn Sie also Lust haben, Ihre Zeit zu verschwenden und sich zu deprimieren, dann lesen Sie dieses Buch. Oder besser noch: Lassen Sie es sein und gehen Sie lieber selbst spazieren. Das ist gesünder und macht mehr Spaß.

  • #8

    peter (Freitag, 30 September 2022 12:52)

    Digga wieso so viele streber lehrer hier?

  • #7

    jJQaBOcg (Dienstag, 27 September 2022 02:57)

    1

  • #6

    Bernhard Straßer (Mittwoch, 23 März 2022 12:36)

    Hallo Jason,
    die Geschichte wurde im März, April 2020 geschrieben. Also, "als es begann"!

  • #5

    jason (Mittwoch, 23 März 2022 10:34)

    wann wurde die kuzgeschichten geschrieben

  • #4

    Bernhard Straßer (Dienstag, 07 Dezember 2021 19:39)

    Liebe Delia, vielen lieben Dank für die Rückmeldung! Ich arbeite gerade daran, diese und andere Kurzgeschichten in einem einfachen Taschenbuch zu veröffentlichen. Bei Interesse einfach melden: strasserbp(at)gmail.com

  • #3

    Delia (Dienstag, 07 Dezember 2021 11:42)

    Ich unterrichte Deutsch als Fremdsprache und bin immer auf der Suche nach Kurzgeschichten, die ich weiterempfehlen kann. Diese Kurzgeschichte hat für mich alles, was eine gute Kurzgeschichte braucht. Vielen Dank, dass Sie die Geschichte hier veröffentlicht haben.

  • #2

    Bernhard Straßer (Mittwoch, 18 August 2021 20:09)

    Hallo Frau Lensing,
    ich freue mich immer sehr, wenn Schulklassen meine Geschichten lesen (und interpretieren!)
    Lassen Sie mich doch wissen, wie es den Schüler/innen gefallen hat und wie sie die Geschichte ausgelegt haben!
    Meine Email Adresse ist strasserbp@gmail.com
    Schöne Grüße,
    Bernhard Straßer

  • #1

    Britta Lensing (Mittwoch, 18 August 2021 17:28)

    Ich bin Lehrerin an einer Bonner Realschule und auf der Suche nach einer guten Kurzgeschichte auf diese hier gestoßen. Bin begeistert dabei, sie in eine Klassenarbeit einzuarbeiten, wird der Höhepunkt der Reihe. Danke!!!