Luise Rinser in Kirchanschöring

Die prägenden letzten Kriegsjahre der umstrittenen Schriftstellerin

Luise Rinser, geboren am 30. April 1911 in Pitzling am Lech, gestorben am 17. März 2002 in Unterhaching war eine der meistgelesenen Schriftsteller der jungen Bundesrepublik und eine moralische Instanz. Da ihr Bild, das sie selbst durch ihre Autobiographie kreiert hatte, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte, wurde sie zu einer umstrittenen Persönlichkeit.

Luise Rinser Kirchanschöring

Die Frage, wer die wahre Luise Rinser war, könnte vielleicht ein Blick auf ihre Jahre in Kirchanschöring beantworten. Wenig ist ihre Zeit in dem Dorf in Südostbayern ausgeleuchtet, obwohl es die vielleicht prägendste ihres Lebens war. Dort erlebte sie die letzten Kriegsjahre, wurde denunziert und wandelte sich von einer - wie man heute weiß - Hitler Befürworterin zur selbst stilisierten Widerständlerin. 

Es lohnt sich, noch einmal einen Blick auf Luise Rinsers junge Jahre in Kirchanschöring zu werfen.

Luise Rinsers Jahre als junge Schriftstellerin

Luise Rinser den Wolf umarmen

 Vor dreißig Jahren, als Luise Rinser ein letztes Mal Kirchanschöring besuchte, war sie ein Literaturstar und eine moralische Instanz in Deutschland.

Dennoch wurde sie schon damals in Kirchanschöring kontrovers diskutiert. Anlass war ihre Autobiographie "Den Wolf umarmen", in der sich viele Kirchanschöringer falsch dargestellt sahen.

In den vergangenen Jahren stand Luise Rinser wieder im Mittelpunkt zahlreicher Recherchen. Seitdem hat sich allerdings das Bild der Autorin das sie, wie man heute weiß, auch selbst geschickt inszeniert hatte, radikal gewandelt.

Wie heute bekannt ist, hat Luise Rinser als junge Lehrerin mit Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus sympathisiert und war auch als Autorin tiefer in das Regime verstrickt als sie es selbst zugestanden hätte.

Fakt ist aber auch, dass sie mehrere Monate wegen Wehrkraftzersetzung in Traunstein im Gefängnis einsass. Eine grundlegende Veränderung muss in der Gesinnung der Frau während der letzten Kriegsjahre stattgefunden haben. In genau jener Zeit also, in der sie in Kirchanschöring lebte.

Es lohnt sich folglich, mit dem Wissen von heute, noch einmal "Den Wolf umarmen" aufmerksam zu lesen, um mehr über den Menschen Luise Rinser und das Leben in Kirchanschöring zu erfahren. 

"Den Wolf umarmen" richtig lesen

Bevor man Luise Rinsers Autobiographie aufschlägt, muss man allerdings folgendes verstehen: Es handelt sich um keine Autobiographie im klassischen Sinne, die wörtlich zu lesen ist, sondern um ein literarisches Werk. Ein Werk, das verdichtet, übertreibt und verschweigt. Ähnlich hat Thomas Bernhard mit "Ein Kind" gearbeitet und seinerseits die Traunsteiner auf Jahrzehnte aufs bitterste verärgert.

Luise Rinser wurde vorgeworfen, ihre Verstrickungen in das Nazi Regime ausgeblendet, ja verleugnet zu haben. Aber bereits beim Titel "Den Wolf umarmen" lässt sich die gewagte These aufstellen, ob Luise Rinser nicht vielleicht andeuten wollte, was sie als Mädchen für den Führer empfand. Denn der Wolf ist niemand anderes als Adolf Hitler.

Vorweg sollte man auch nehmen, dass die Kirchanschöringer, die sie in den Vierziger Jahren kannten, trotz aller Kritik an ihrer Person, nie daran zweifelten, dass Luise Rinser eine Gegnerin des Regimes war.

So stehen zwei Tatsachen gegenüber: Die junge Sympathisantin und die spätere Gegnerin der Nationalsozialisten. Zu beachten ist nun: Wie ist die Rinser nach Kriegsende in die Rolle der radikalen Antifaschistin gerutscht, welche Hinweise gibt sie selbst in ihrer Autobiographie von 1984 und wie kann man diese heute deuten.

Dazu bietet es sich an, die Passagen ihres Buches mit den tatsächlichen Ereignissen zu vergleichen, um zu verstehen, wie die Rinser gearbeitet hat. 

Luise Rinsers Kirchanschöringer Verwandtschaft

Luise Rinser Kirchanschöring

Kirchanschöring erwähnt sie ein erstes Mal in Bezug auf ihren Onkel Georg Rinser (s. 39f).

Nun muss man wissen, dass Pfarrer Rinser in Kirchanschöring wie ein Heiliger verehrt wurde. Luise Rinser beschreibt ihren Onkel zwar ebenfalls wie einen Heiligen, aber weist deutlich darauf hin, dass ihr der Mann unangenehm war. Dies allein muss ein Affront gegen den konservativen Kirchanschöringer Leser des Jahres 1984 gewesen sein. Schlimmer noch, Luise Rinser behauptet auf derselben Seite, dass ihre Tante Marie einen "Kommunist und Torfstecher" geheiratet hätte. Eine Behauptung, die im Dorf wütend diskutiert wurde und als Beleg der Lügen der Luise Rinser diente.

Doch zurück auf die literarische Ebene: Mit diesem Kniff gelingt es Luise Rinser, den Konflikt ihrer Tante mit dem geistlichen Bruder und die spätere Gefahr durch die Nazis deutlich herausstreichen. Auch wird der Torfstecher in seiner Kategorisierung als Kommunist, in diesem Buch zum Sympathieträger gegenüber dem lebensfremden katholischen Priester Georg.

Man kann sich dennoch vorstellen, welche Wellen derartige Behauptungen im strausschwarzen Bayern Mitte der Achtziger Jahre ausgelöst haben müssen.

Georg Rinser - Luise Rinsers Onkel

Wie Luise Rinser Ambivalenz als Schreibstil verwendet, lässt sich gleich hier im Georg Rinser-Kapitel aufzeigen:

Der Leser, der nach den ersten, Missgunst dem Onkel gegenüber andeutenden Sätzen nicht aufmerksam weitergelesen hat, dem entgeht, dass sich die Rinser rasch relativiert, den Onkel fast bewundernd als Heiligenfigur zeichnet und Ihre kritische Sicht auf den Priester als die Sicht einer Schülerin beschreibt.

Hier wäre eine genauere Analyse interessant, welche Anekdote wahr ist und wo sie den Onkel überhöht.

Im Buch ist Georg Rinser ein Asket, der jeden Morgen um Vier Uhr aufsteht und im Sommer wie im Winter Baden geht. Da das Pfarrhaus an der Ache lag, erscheint dies zumindest möglich.

Georg Rinser wird wie ein Heiliger Franziskus beschrieben: Jemand, der stets bereit war, Armen und Bedürftigen zu geben. "Er schenkte alles her, was er nicht unbedingt brauchte." (S. 41)

Georg Rinser soll jedes Mal, wenn jemand im Sterben lag, eine Glocke gehört haben, damit er sich sogleich zum "Versehgang" bereit machen konnte. Die Rinser betont ausdrücklich, dass diese Anekdote verbürgt ist, was sie bei anderen Anekdoten nicht tut.

Als er an einem Hirntumor starb, schreibt sie, fiel über dem Bett ihrer Eltern, die Uhr zur Todesminute hinunter. Der Leichnam blieb noch drei Tage rosig. In Italien, schreibt sie, wäre sofort seine Seligsprechung eingeleitet worden.

Letztendlich rückt sie diese literarische Heiligsprechung des Georg Rinser selbst in ein heiliges Licht, indem sie schreibt, der Onkel hätte wohl doch größeren Einfluss auf die genommen als ihr bewusst war.

Im Dorf jedenfalls ist die Bedeutung beider Rinsers klar einzusehen: es gibt eine Georg Rinser Straße. Von Luise Rinser ist nicht einmal das Haus in Voglaich geblieben. Immerhin verweist der Fremdenverkersverein schüchtern auf seiner Webseite auf einen "Luise Rinser Wanderweg".

Noch einmal vergleicht sich die Erzählerin mit einer Heiligen, als sie schildert, dass sie nach dem Krieg zwei SSlern half, die vereiterte Wunde des einen verarztete, der sich das SS Blutgruppenzeichen herausgeschnitten hatte (S. 45).

Derlei mag geschehen sein, kann aber auch ein prägnantes literarisches Bild sein.  

Marie und Franz Wallner

Luise Rinser benutzt ihre Tante Marie und deren Mann, um zu beschreiben, wie ihre Familie mit einer Krisensituation umgeht, wie sich die Familienmitglieder in einem Konflikt positionieren, wie weltoffen und tolerant sie sind.

Eine Liebesbeziehung mit einem gewöhnlichen Bauernsohn aus dem Dorf bietet wenig Fallhöhe. Den politischen Zeiten gemäß, die auf dem Land nicht ganz so politisch waren, wie es der Spannungsbogen erwartet, macht sie aus dem Liebhaber einen Kommunist und Torfstecher.

Der größtmögliche Konflikt muss her, zwei uneheliche Kinder genügen nicht, anders wäre es schwer zu vermitteln, dass der Heilige Pfarrer die eigene Schwester von Pfarrhof wirft und die sanfte Großmutter Marie zunächst enterbt.

Luise Rinser lässt nun ihre Mutter unbeirrbar ob der Liebe des geächteten Paares, vermitteln.

Und durch deren Fürsprache erhält das Paar ein altes Haus. Marie richtet dort eine Limonadenfabrik ein.

Beide arbeiten hart und ihre Firma wird bald ein großes, angesehenes Geschäft im Dorf.

Unbestritten ist Rinsers Resümee, dass der "Torfstecher" ein braver Bursche wurde. Ob diese Wandlung auch für einen "Kommunist und Torfstecher" als ungewöhnlich zu beschreiben sei, das sei dahingestellt.

"Luise Rinsers Vergesslichkeit" im Spiegel: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76229390.html

Luise Rinsers Biographie und Werdegang

1911 30. April Geburt in Pitzling am Lech

1914 Umzug nach Etting

1918 Vater Josef Rinser wird als Oberlehrer nach Übersee versetzt.

1924: Lehrerinnenseminar in München

1932: Sie unterstützt ihren Vater in Huglfing 

1932 November: Lehrerin in Großkarolinenfeld

1933: März: Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes in Maibrunn im Bayerischen Wald.

1933 Aushilfslehrerin in Forst bei Wessobrunn(BDM)

1934 Nahtstelle zwischen Schule und Hitlerjugend Nazi Ausbilderin für junge Lehrerinnen

1934 Herdfeuer Bericht über das B.d.M. Führerlager

1934 Herdfeuer – Gedicht „Junge Generation“. Sie ist 22 Jahre alt.

1935 Lehrerin Ohlstadt bei Garmisch Partenkirchen

1935 Erster Brief an Hermann Hesse

1936 Zweites Herdfeuer-Gedicht.

1936 Anstellungsurkunde als Staatsbeamtin. Versetzung nach Nicklheim, Rosenheim. 

1936 Heftigster Streit mit den Eltern wegen geplanter Heirat Horst Günther Schnell

1937 Erzählung „Anna Margareta Buxtehude“

1939 Sie lehnt es als erfolgreiche Lehrerin ab, in die Partei einzutreten.

1939 Heirat Horst Günther Schnell, Umzug nach Braunschweig

1939 Ausbruch 2. Weltkrieg, Schwangerschaft, Sie beginnt die Gläsernen Ringe zu schreiben.

1940 Februar Geburt Christoph

1940 August Beginn Korrespondenz mit Ernst Jünger

1941 Januar UFA Angebot, ein Drehbuch umzuschreiben. Intensive Nächte in Berlin

1941 Umzug nach Rostock

1941 Mai Erzählung „Die gläsernen Ringe“ erscheint, macht Luise Rinser berühmt.

1941 Herbst Umzug nach Rostock, Ehekrise mit Horst Günther Schnell.

1941 Oktober Geburt des außerehelichen Sohnes Stephan Rinser

1942 Sie verlässt Rostock. Lebt nun in Steinseiffen in Schlesien.

1942 Auftrag UFA-Drehbuch Propagandafilm über Bild der deutschen Frau

1942 Juni Kündigung der Wohnung in Schlesien.

1942 23. Juni Scheidungstermin

1942: Umzug nach Kirchanschöring

1942 Dezember Stefan kommt ins Kinderheim nach Salzburg

1943 Drehbuch zum Film „Schule der Mädchen“ Karl Ritter 

1943 Februar:  Schnell fällt in Russland

1943 Heirat mit Klaus Hermann

1943 Juni: Brief an Hermann Hesse: Heimatgefühle für Kirchanschöring

1943: Sommer: Klaus Herrmann nach Voglaich. Die Familie folgt nach.

1944: 10. Januar Kirchliche Heirat im Salzburger Dom.

1944 Oktober: Denunziation und am 12.10. Verhaftung wegen Wehrkraftzersetzung

1944 21. Dezember: Hafturlaub. Vermutlich Ende der Haft.

1945 – 1953 Freie Mitarbeiterin der Neuen Zeitung

1946 April: Sie wohnt immer noch in Voglaich. Hesses „Brief an eine Deutsche“

1946 Gründung VVN: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

1946 Das Gefängnistagebuch erscheint

1948 Umzug von Kirchanschöring nach München

1948 Romane „Erste Liebe“, „Hochebene“ „Die Stärkeren“Erzählung „Jan Lobel aus Warschau“,

1949 Teilnahme Gruppe 47 – Ihre Novelle fiel aber durch

1949 Großer Erfolg mit „Mitte des Lebens“

1952 Scheidung von Klaus Hermann

1952 Heirat Carl Orff 

1959 Umzug nach Rom

1960 Scheidung von Carl Orff

1965 Neues Haus in Rocca die Papa

1977 Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland

1980 Besuch Nordkorea und Kim Il Sung

1981 „Den Wolf umarmen“

1984 Kandidatin der Grünen als Bundespräsidentin – Niederlage gegen Weizsäcker

2002 17. März gestorben in Unterhaching

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Kommentare: 1
  • #1

    JYupWMLW (Montag, 27 November 2023 12:29)

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