Die Einführung der Pockenimpfung

Die erste Impfpflicht in Bayern und Salzburg

Die erste weltweite Impfpflicht wurde in Bayern eingeführt. Auch unsere Region war von der Pflicht zur Impfung gegen die Pocken betroffen. Der Rupertiwinkel gehörte in dieser Zeit wechselnd zu Bayern und Salzburg. Für die Serie "Heimat und Geschichte" habe ich versucht, einmal nüchtern betrachtet, die Einführung der Pockenimpfung zu recherchieren. Bemerkenswerte Vorarbeit haben zu diesem Thema bereits Sabine Falk und Alfred Stefan Weiß geleistet, die sich schon 1991 mit diesem Thema beschäftigt haben. 

Eine der größten Zivilisationsleistungen der Menschheit ist der Sieg über die Pocken. Seit 1977 gilt jene Krankheit, die über tausend Jahre lang als Geißel der Menschheit galt, als ausgestorben. Auch in unserer Heimatregion begann ,der Anfang vom Ende der Pocken ab 1801 mit der Entdeckung und Verbreitung der Schutzpockenimpfung, im Volksmund auch „Schutzblatternimpfung“ genannt. Ärzte und Regierende sahen endlich die lang erhoffte Chance, die fatale Dezimierung der Bevölkerung durch diese oft tödlich verlaufende Krankheit, zu stoppen. Umso überraschter waren diese, als die neue Technologie der Impfung in der meist ländlich geprägten Bevölkerung, besonders auch in unserer Gegend, auf heftigsten Widerstand stieß. Eine Allianz aus Regierungsbeamten, Ärzten, Klerus und auch der Presse schrieb es sich auf die Fahnen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Schutzpockenimpfung zu überzeugen. Wozu betrieben die salzburgischen, österreichischen und bayerischen Regierungen einen so hohen Propaganda-Aufwand? Die demographische Entwicklung war durch die Napoleonischen Kriege und eben auch die Pockenerkrankungen in diesen Regionen besorgniserregend hoch. In manchen Gegenden war jedes zweite Kind an den Pocken gestorben. Die Bestrebungen, dem Siechtum der Bevölkerung den Kampf anzusagen, hatte also nicht nur das Wohl der Menschen, sondern auch wirtschaftliche Gründe.

Mit der Heftigkeit, mit der sich die Bevölkerung gegen diese medizinische Errungenschaft wehrte, hatte die Obrigkeit nicht gerechnet. Die neue Technologie Impfung galt als Teufelswerk und die Vorbehalte waren vielfältig. Dies begann schon beim Missverständnis, dass das oft ungebildete, nicht des Lesens mächtige Volk die im Impfstoff enthaltenen „Kuhblattern“ für die umgangssprachlich ebenso ausgesprochene Urinblase des Rindes hielten. Dieses Marketingproblem ließ sich mit einer neuen Sprachregelung lösen und man benannte die „Kuhblatternimpfung“ in „Schutzblatternimpfung“ um. Was wenig daran änderte, dass die Gläubigen in unseren ländlichen Gegenden die Impfung als Teufelswerk gegen die gottgegebene Pockenkrankheit ansahen. Es war den Menschen, die sich seit Generationen dem Schicksal einer hohen Kindssterblichkeit gefügt hatten, schwer zu vermitteln, dass nun weniger Gott denn die Eltern selbst Verantwortung zu tragen hatten. Zudem galt die nach der Impfung erfolgte Pockennarbe als Zeichen des Teufels. Manch Leser, der damals in einer Schulturnhalle die Pockenimpfung erhielt, wird bis heute eine Pockennarbe als Erinnerung am Arm haben.

Neben religiösen Gründen mag eine weitere Ursache der Impfskepsis der Vorläufer der Pockenimpfung, die sogenannte Inokulation gewesen sein. Bei diesem vor 1800 weit verbreiteten Verfahren wurden die Kinder künstlich mit Menschenpocken angesteckt. Zwar konnte das Risiko, an den Pocken zu sterben, durch die Inokulation um das zehnfache gemindert werden. Gleichzeitig starben nicht wenige der zuvor kerngesunden Kinder durch die Infizierung kurz nach der Impfung. Ein Umstand, der sicher noch lange Zeit bei vielen im kollektiven Gedächtnis eingebrannt blieb. Immanuel Kant stellte damals die Frage auf, ob die Inokulation sittlich erlaubt sei, da man sich durch diese Behandlung einer unnötigen Todesgefahr aussetzen würde.

Was konnte der Staat nun also tun, wenn die Bevölkerung sich der Bekämpfung einer tödlichen Krankheit mit, wie man heute weiß, abstrusen Argumenten widersetzte? In Waging hatte der Pfarrer die kreative Idee, der Familie, die ihr Kind als erstes freiwillig impfen lassen würden, einen Zinsnachlaß und Übernahme aller Kosten anzubieten. Ein wichtiger Anreiz, denn Anfangs erhielten nur Waisenkinder und Kinder armer Eltern eine kostenlose Impfung.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein erster Staat eingreifen würde. Besonders hart getroffen von der Pockenpandemie war Bayern, das in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts 90% der Kinder durch die Pocken dahingerafft sah. Als erstes Land der Welt führte schließlich Bayern unter König Maximilian I. im April 1807 zur Bekämpfung der Pocken eine Impfpflicht ein. Diese galt drei Jahre später auch für den nun bayerischen Salzachkreis.

 

Wie in etwa die Impfung damals ablief, darüber zeugt ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1872. Darin wurden die Termine und Orte der öffentlichen Impfung für den Distrikt Laufen bekanntgegeben. Die Kirchanschöringer hatten sich beispielsweise in Petting im Riedlerschen Gasthause einzufinden. Die Astener, Kayer und Kirchheimer im Tittmoninger Rathaussaal. Im Archiv des Heimatvereins Kirchanschöring findet sich zudem ein Impfungs-Schein aus dem Jahr 1853. Er bescheinigte, dass Joseph Brüderl, Bauerssohn aus Hipfelham, bei der außerordentlichen öffentlichen Schutzpocken Impfung am Güßhübel geimpft wurde die die Kontrolle den Impferfolg bestätigte.  

Nach anfänglichen Erfolgen bei der verpflichtenden Schutzimpfung tauchten ab 1813 verschiedene Impfprobleme auf. Es stand zu wenig vollwertiger Impfstoff zur Verfügung und es gab eine wachsende Zahl an Impfdurchbrüchen. Die Erkenntnis, dass eine zweite Impfung notwendig war, wurde von den sich immer besser organisierenden Impfgegnern ausgeschlachtet. Zudem traten Nebenwirkungen auf. Die gravierendste davon war eine Überimpfung von Syphilis, ein Umstand, den Impfgegner öffentlichkeitswirksam für ihre Propaganda nutzten. Bärbel Jutta-Hess, schreibt 2009 dazu in ihrer Doktorarbeit: „Einzelne Ärzte und Laien sahen in der Vakzination eine unwirksame und hochgradige gesundheitsschädigende Maßnahme, gegen die sie öffentlich zu agitieren begannen.“ Dazu nutzten sie emotionale und polemische Schriften, um die Bevölkerung von der Impfung abzuhalten. Die Zahl der Ungeimpften blieb ab den 1830er Jahren auf hohem Niveau. Es bedurfte immer wieder heftiger Pockenausbrüche, damit die Bereitschaft auch zur freiwilligen Zweitimpfung zweitweise wieder merklich stieg.

Die Impfpflicht in unserer Region galt sowohl im späteren Kaiserreich, als auch in der Weimarer Republik. Gelockert wurde sie erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, unter denen es viele Befürworter der Naturheilkunde und Gegner der Schulmedizin gab.

Die Geschichte der Pocken endet trotz Impfpflicht in manchen Ländern erst in den 1970er Jahren. Nach einem historischen Kraftakt der WHO, die Impf- und Bekämpfungsprogramme weltweit durchsetzte, konnten die Pocken 1978 als erste Krankheit ausgerottet werden. Mit dem letzten Pockenfall 1967 in Regensburg war die Krankheit bereits 10 Jahre vorher in Bayern besiegt. Die Impfpflicht jedoch wurde erst 1983 aufgehoben.


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