Ein Lied wie das bekannteste Weihnachtslied der Welt, "Stille Nacht, Heilige Nacht" dürfte eigentlich gar nicht existieren. Die Geschichte der Entstehung dieses Liedes ist so ungewöhnlich, wie die Weihnachtsgeschichte an sich. Wie in einer Zeit äußerster Armut zwei gewöhnliche Menschen wie Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber in einer gerade geteilten Stadt ein Lied komponierten, das später die ganze Welt eroberte, soll hier nacherzählt werden:
Stellt euch vor, wenn in einer Zeit äußerster Not in ärmlichsten Verhältnissen etwas entsteht, das gottesgleich herrlich erstrahlen und den Verlauf der gesamten Welt verändern wird. Geschichten wie diese haben die Menschen seit jeher fasziniert und inspiriert. Die berühmteste dieser Geschichten ist die Weihnachtsgeschichte. Die Geschichte eines Kindes, das in einem Stall geboren und in einer Viehkrippe gewickelt wird, das niemand geringeres wird als der Erlöser, der Heiland, der Sohn Gottes, kann kaum größer erzählt werden.
Doch in diesem Zusammenhang gibt es eine weitere Geschichte. Eine, die sogar in unserer Region spielt. Eine Geschichte, die so unfassbar ist, dass sie nicht weniger unglaublich klingt wie die Weihnachtsgeschichte selbst.
Diese Geschichte spielt in einer Zeit, in der die Stadt Laufen an der Salzach und dessen Stadtteil, das „Obere Dorf“ in ärgste Not geraten ist. Durch die Napoleonischen Kriege wurde die über 1000 Jahre alte Stadt zweigeteilt. Die Bayerisch-Österreichische Grenze verlief in Form der Salzach mitten durch die Stadt. Unzählige Familien wurden in Laufen und Österreichisch-Laufen, dem heutigen Oberndorf durch die neue Staatsgrenze getrennt. Nur durch Zurufen über den Fluss konnten Familien, die einst zusammengehörten, mehr schlecht als recht kommunizieren. Gewissheiten, die Generationen zusammengehalten hatten, waren mit einem Handstreich von einem Tag auf den anderen zunichte gemacht.
Recht hart hatte es die Bewohner des oberen Dorfes und vor allem die Kirchengemeinde erwischt. Ausgerechnet der Pfarrer hatte die politische Umwälzung am schnellsten begriffen. Er transportierte aus der Oberndorfer Nikolauskirche alles, was nicht niet- und nagelfest war, ab ins Laufener Pfarrhaus. Die Gemeinde Oberndorf musste also nahezu bei Null beginnen. Ein Hilfspfarrer von Auswärts wurde zur Unterstützung der Gemeinde abbestellt. Dies sollte allerdings geschichtsträchtige Folgen haben.
Die Bevölkerung litt nicht nur unter der Trennung. Ausgerechnet im Trennungsjahr brach im fernen Tambora in Indonesien ein Vulkan aus, der das Klima auf Jahre hinaus veränderte. Das Jahr ging als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Missernten und Hunger waren die Folge.
In diese verzweifelte Lage fiel das Weihnachtsfest 1818. Hilfspfarrer in Oberndorf war seit 1817 ein gewisser Joseph Mohr. Er selbst stammte aus recht unsteten Verhältnissen, war ein uneheliches Kind, bis heute ist nicht sicher, wer sein wirklicher Vater war. Es fiel jedoch rasch seine musikalische Begabung auf. Er fand Förderer, studierte Philosophie und Theologie und empfing 1815 die Priesterweihe. Aufgrund gesundheitlicher Probleme ließ er sich aus den Bergen ins flachere Land versetzen, so kam er nach Oberndorf.
Da aufgrund der katastrophalen Armut in der Gemeinde ein eher trauriges Weihnachtsfest 1818 anstand, plante er für die Christmette an Heilig-Abend etwas Besonderes. Er hatte bereits 1816 ein Weihnachts-Gedicht geschrieben, das er gerne als Weihnachtslied aufführen lassen wollte. Es fehlte noch eine Melodie.
Der Organist der Sankt Nikolaus war der in Arnsdorf lebende Franz Xaver Gruber. Dieser übte, wie damals nicht unüblich, unisono die Tätigkeit als Mesner, Dorflehrer und Organist aus. Auch er schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben und war indirekt ebenfalls ein Opfer der neuen Staatsgrenze. Sein Bruder Bartholomäus hatte auf der anderen Seite der Salzach, ins nun bayerische Asten eingeheiratet. Beide Brüder hatten gemeinsam, dass sie die Tätigkeiten als Mesner und Organist ausübten. Nun war auch diese Familie durch die neue Grenze getrennt.
Am 24. Dezember 1818 fragte der Hilfspfarrer Joseph Mohr also seinen Organisten Franz Xaver Gruber, ob er nicht die kleinen Weihnachts-Verslein, die er geschrieben hatte, vertonen könne. Gruber schrieb also innerhalb weniger Stunden die gewünschte Musik.
Es wurde am Heiligabend 1818 langsam finster und in der Nacht fand die Weihnachtsmesse in der Kirche Sankt Nikolai statt. Das Kirchengemäuer selbst war nach den Jahren einer wechselvollen Geschichte sehr gezeichnet. Feuersbrünste und Hochwasser hatten die Kirche immer wieder in Mitleidenschaft gezogen. Die Gemütslage der Gläubigen war am Heiligabend 1818 also eher trist und nachdenklich. Aber auch feierlich, voller Hoffnung. Zum Ende der Weihnachtsmesse wurde es ganz still in der St. Nikolai Kirche. Der Organist kam von der Orgel herab und der Pfarrer schnallt sich eine Gitarre um. Im Schein der Kerzen sangen beide zur Gitarrenbegleitung dieses ruhige, unaufgeregte Lied über eine stille, hochheilige Nacht. Alle, die an diesem Heiligabend zugegen waren, waren so ergriffen von dem Lied, dass in der Kirche, nachdem der letzte Akkord verklungen war, tosender Applaus aufbrandete.
In dieser Christmette gedachten die Menschen daran, wie der Heiland, der Retter der Welt, in dunkler Stunde geboren wurde, um der Welt das Licht zu bringen. Ob sie ahnten, dass in dieser hochheiligen Nacht in Oberdorf ebenfalls etwas Großes, die Welt Bewegendes das Licht der Welt erblickt hatte, wissen wir heute nicht mehr. Aber es war die Geburtsstunde des heute berühmtesten Liedes der Welt.
Doch ähnlich wie in der Geschichte des Christuskindes dauerte es noch viele Jahre, bis dieses kleine, unscheinbare Lied seine volle Wirkung entfalten konnte. Ein Orgelbauer war es, der das Lied in Oberndorf hörte und es in seine Heimat, das Zillertal brachte. Dort verbreiteten es einige Gesangsgruppen als „Tyroler Lied“ erst nach und Leipzig und trugen es schließlich in die ganze Welt hinaus. Mit an der Verbreitung beteiligt war auch die Gesangsfamilie Strasser, die allerdings mit dem Autor dieses Textes weder verwandt noch verschwägert sind.
Bald war diese Melodie, dieser Text nicht mehr aufzuhalten. Menschen in den USA sangen es ebenso, wie Christen in ganz Europa. Unter den unzähligen Weihnachtsliedern, die es bis dahin gab und seitdem Jahr für Jahr erschienen, war es diese einfache Komposition, die seither zum beliebtesten Weihnachtslied der Welt wurde. Vielleicht sogar zum meistgespielten Lied überhaupt.
Paul Simon, der mit „Simon and Garfunkel“ nicht wenige Ohrwürmer komponiert hat, antwortete letztens auf die Frage, welches Lied er selbst gerne geschrieben hätte. Seine Antwort: „Stille Nacht Heilige Nacht“.
Allen, die sich mit der Entstehungsgeschichte dieses Liedes auseinandersetzen stellt sich früher oder später diese eine Frage: Ist der Erfolg dieses Liedes sein Text, seine Melodie, oder vielleicht auch, weil seine Entstehungsgeschichte eine einzige Allegorie auf die Weihnachtsgeschichte an sich ist.
So oder so, solange die Menschheit Weihnachten feiert, solange wird sie an Heiligabend dieses kleine Lied singen. Dieses Lied aus Oberndorf an der Salzach, dem österreichischen Laufen, das die ganze Welt erobert hat.
Dort, wo das Lied "Stille Nacht Heilige Nacht" uraufgeführt wurde, steht heute die Stille Nacht-Kapelle. Mehr Info über diesen wunderschönen Weihnachtsort findest du hier