Simone Bauer - Zu spät

Eine queere Kurzgeschichte mit LGBT-Hintergrund über eine Date mit überraschenden Folgen. 

Simone Bauer ist Autorin, Journalistin und Moderatorin aus München. 

Aktuell ist 2022 ihre lesbische Lovestory „Hinterm Großstadtdschungel links“ bei Butze erschienen.

Alle Infos zu ihrem neuen Buch hier: https://www.butze-verlag.de/verlagssortiment/hinterm-grossstadtdschungel-links/

Ihre ausführliche Autorenbio findet ihr am Ende ihrer Kurzgeschichte!

Zu spät

Es war der zweite heiße Tag in diesem Jahr. Die Sonne brauchte aber keine Anlaufzeit, um gnadenlos auf die Hauptstadt herunter zu sengen. Regina versuchte sich unauffällig den Schweiß von der Oberlippe zu tupfen. Sie trug zu viel Make-Up und zu wenig Sonnenschutz. Und wie stets komplett schwarz.

Zudem war sie nervös. Sie konnte Angst und Hitze als Grund für ihr Schwitzen nicht mehr auseinanderhalten. Naja, immerhin wirkte es dann nicht so peinlich, wenn Thorsten sie zur Begrüßung umarmte. Allen hier war ziemlich warm, die Touristen schräg gegenüber hatten schon ihre Fächer ausgepackt.

Falls er sie zur Begrüßung umarmte.

Falls er überhaupt kam.

Er war fünfzehn Minuten zu spät. Noch wollte Regina sich nicht reinsteigern, versetzt zu werden. So ein akademisches Viertel war doch völlig normal und außerdem war der Außenbereich des hippen Cafés, das er vorgeschlagen hatte, sehr groß! Vielleicht konnte er sie einfach nicht zwischen den vielen Menschen entdecken? Sie war halt einfach viel zu klein!

Sie linste auf ihr Smartphone.

Es war nicht so, als wäre für sie glasklar, dass Thorsten der Vater ihrer zukünftigen Kinder werden würde. Sie wollte ja noch nicht mal Kinder! Regina war ja froh, wenn sie einmal nicht für dumm verkauft wurde, so wie von Andi. Da traf er diese rothaarige Studentin schon sieben Wochen lang … und hatte Regina trotzdem Hoffnungen gemacht!

Regina schnaubte in das Glas Zitronenlimo, das sie sich geholt hatte. Ihr Magen knurrte. Es wurde langsam Zeit, dass Thorsten kam … immerhin hatte sie schon um halb sieben Uhr morgens zu arbeiten angefangen. Mit Andi am Nachbartisch, wohlgemerkt. Sie wollte sich etwas gönnen, weil sie es sich verdient hatte. Zuviel Mist hatte sie in den vergangenen Monaten durchlebt.

Wie war das noch, als Stefan ihren Kuss nicht erwidert hatte? Sie weggestoßen hatte bei diesem Festival? Warum verliebte die Brünette sich nur immer Hals über Kopf in die absolut Falschen?

Ihr Smartphone bestätigte ihr: Sie wartete nun bereits eine halbe Stunde. Keine Reaktion auf ihre nette Nachfrage in der Datingapp, wo er denn stecke. Sie war immer viel zu nett. Darum blieb Regina sogar noch weitere fünfzehn Minuten mit Hunger und Wut im Bauch auf dem wackeligen Caféstuhl sitzen.

Mit einem kräftigen Zug trank sie ihr Glas leer und stand auf. Es reichte ihr.

 

Andi sah aus wie der typische Quarterback aus einer amerikanischen Schnulze. Stefan war auch ein ziemlicher Schrank, der die meiste Zeit im Fitnessstudio verbrachte. Thorsten hatte einen Bart, zumindest auf seinem Profilfoto.

Regina beschloss daher, sich zu öffnen. Sitzengelassen worden zu sein, sollte ihr Wendepunkt sein. Während sie das dachte, ließ sie ihren Blick durch die Kantine gleiten. Sie hatte rein theoretisch die volle Auswahl. Anzugträger. Mechaniker. Groß, klein, tätowiert, aalglatt.

Was war nur an ihr verkehrt, dass man sie nicht ansah wie die anderen Frauen? Lag es daran, dass sie keinerlei Farbe trug? Das dunkle Haar relativ oft um ihren Kopf herum einflocht? Es störte sie doch sonst nur!

Warum sprang ihr aber auch keiner dieser Männer ins Auge?

Warum waren alle Begegnungen in dieser Großstadt für Regina der absolute Reinfall?

„Isst du alleine?“, ertönte da eine weibliche Stimme hinter ihr.

„Oh“, Regina sah an sich herab, wie sie so ziellos in der Kantine herumstand, mit ihrem Salat auf ihrem Tablett, „Möchtest du bei mir sitzen?“

Wie war noch gleich ihr Name …?

Marina? Maria? Marie!

Sie hatten zum Monatsersten angefangen und Regina hatte noch nicht wirklich mit ihr gesprochen, aber darauf zu bestehen, alleine zu essen, wäre schon ziemlich traurig. Außerdem war Regina Maries Berliner Schnauze direkt aufgefallen bei ihrer ersten Begegnung und die hatte sie direkt fasziniert.

„Klar“, Marie grinste breit und schnappte sich einen Teller Pizza. Gemeinsam suchten sie sich einen Tisch, an dem man etwas ungestörter vom Rummel der Kantine war.

Regina lächelte sie an. Eigentlich war sie ganz froh, dass ihre Gedanken ein wenig zerstreut werden würden.

„Wow, deine Augen sind so unglaublich blau“, Marie legte den Kopf schief und lächelte. Ihr schulterlanges, blondes Haar war zum Zopf zusammengefasst, der bei dieser Bewegung eifrig wippte.

„Danke“, Regina fuhr sich geschmeichelt eine brünette Strähne hinters Ohr, „Aber ich benutze da auch diese ganz tolle Mascara …“

 

Es entspann sich ein Gespräch, als würden sie sich schon ewig kennen – die Zeit verflog geradezu.

„Wir sollten das wiederholen“, Regina wischte sich eine winzige Lachträne aus dem Augenwinkel. Marie hatte die Art von ehrlichem Humor, die nicht einmal davor Halt machte, sich selbst auf die Schippe zu nehmen.

„Bei mir um die Ecke ist ein süßer, kleiner Italiener, den könnten wir ja Freitagabend ausprobieren!“, schlug Marie mit leuchtenden grünen Augen vor.

„Gerne“, Regina hatte ohnehin keine andere Verabredung und sie hatte dieses unerwartete Mittagsgespräch sehr genossen. Es war, als könne sie sich bei der neuen Mitarbeiterin komplett entspannen. Kein Verstellen, kein Checken, ob das Make-Up noch saß, einfach das sagen, was sie dachte. Sie fragte sich, woran das lag. Mit ihren anderen Kolleginnen war sie in einem konstanten Wettkampf, jeder verteidigte sein Thema wie eine Löwin. Lag es daran, dass Marie schlicht neu war?

Immer wieder berührte Marie Reginas Schulter, wenn sie etwas Spannendes erzählte oder Regina selbst einen Witz gemacht hatte. Es war seltsam, denn eigentlich mochte Regina das nicht besonders – bei Marie war das aber völlig in Ordnung.

„Cool. Dann ist es ein Date“, Marie zwinkerte ihr zu und spazierte davon, in Richtung des Konferenzraums, für ihre anschließende Teamrunde.

Wie vom Donner gerührt blieb Regina sitzen.

„Date“? War das witzig gemeint? Warum hatte Marie ihr zugezwinkert?

Und warum machte sie sich gerade über die simple Äußerung einer Kollegin wirklich einen Kopf? Regina riss die Augen auf, als sie bemerkte, wie sie gerade in der Kantine saß. Sie starrte mit derselben Verwirrung vor sich hin wie noch vor einer Stunde, ein befindlichkeitsfixierter Strudel, sie eine verzweifelte Endzwanzigerin auf der Suche nach Liebe.

Was, wenn sie sich immer in unerreichbare Typen oder Dreckskerle verknallt hatte, weil ihr klar war, dass nie etwas daraus werden konnte?

Eine Art Schutzmechanismus oder ein Festhalten an einer gelernten Tradition – Mann und Frau?

Nur, damit ihr Leben sich nicht änderte? Sie es leichter hatte? Es war nicht so, als hätte sie sich nicht schon einmal dieser Fragen gestellt. Wenn sie die Lesbenpärchen bei „Grey’s Anatomy“ sah, beispielsweise. Klar hatte es da immer bei ihr gekribbelt, wenn sie Arizona gesehen hatte, aber Jessica Capshaw war einfach objektiv betrachtet eine schöne Frau!

Würde diese Option vielleicht bedeuten, dass sie glücklich werden konnte?

 

Der Sommer lag in seinen letzten Zügen. Die Zitronenlimo prickelte vor ihr auf dem zittrigen Tisch eines hippen Cafés. Regina konnte diese Art von Wärme sehr gut genießen, sie war wie eine Entschädigung für die vielen Arbeitsstunden in dieser Woche. Sie musste nicht vor Hitze zerfließen oder sich um ihr Make-Up sorgen, das brünette Haar kunstvoll eingeflochten um ihren Kopf herum.

Gedankenverloren wischte sie sich eine lästige Fliege von der weißen Bluse mit den schwarzen Punkten, bis ihr Smartphone sie zurück in die Gegenwart holte.

„Hey, Thorsti hier. Das mit unserem Treffen tut mir so leid, aber mein Hamster ist gestorben. War eine schwere Zeit für mich, aber ich würde dich wirklich gerne kennenlernen! Wie wäre es heute Abend bei dir?“

Regina runzelte irritiert die Stirn. In diesem Moment hörte sie Maries Stimme: „Du isst doch mit, oder, meine Hübsche? Dieses Stück Kuchen ist riesig.“

Nachdem Marie sich gesetzt hatte, küsste sie Regina, sie völlig mit ihrem betörenden Duft einnebelnd. Für Regina war es noch immer unfassbar, dass sich eine so direkte, hübsche Frau tatsächlich in sie verknallt hatte. Mit all den Herausforderungen, die es mit sich brachte, jemanden zu lieben, der davon überzeugt gewesen war, dass er nicht liebenswert war. Welche höhere Macht auch immer dafür verantwortlich war, dass sie sich an diesem schicksalshaften Tag begegnet hatten in der Kantine – sie war ihr sehr dankbar.

Regina betrachtete Marie eingehend mit einem erleichterten Lächeln, dann beugte sie sich über ihr Smartphone und tippte: „Zu spät.“

Die Autorin: Simone Bauer

Simone Bauer - Foto: Jelena Moro
Simone Bauer - Foto: Jelena Moro

Simone Bauer, geboren am 2. August 1990 in der Nähe von Regensburg, lebt im Herzen Münchens und arbeitet als Spezialistin für Öffentlichkeitsarbeit in einem großen DAX-Unternehmen. 2010 wurde Simone aus 1.500 Mädchen ausgewählt, um im Kurzgeschichtenband „Frühlingsflattern“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag) zu zeigen, warum ihre Kernkompetenz Herzschmerz ist. Es folgten ebenfalls bei Schwarzkopf & Schwarzkopf ihr Debütroman „Ganz entschieden unentschieden“ (2011), ihr erstes Jugendbuch „Alkoholfrei“ (2012) und ihr erstes Erzähltes Sachbuch „Matsch-Memoiren“ (2013). Der Unsichtbar Verlag veröffentlichte 2012 ihre Chick Lit „Isarvorstadt“. Über den Musikjournalismus kam Simone zu ihren Tätigkeiten bei unzähligen Print- und Onlinemagazinen, wie die „Junge Leute“-Seite der Süddeutschen Zeitung, dem MISSY Magazine oder den Magazinen des Raptor Verlags zu japanischer und südkoreanischer Popkultur. Inzwischen arbeitet sie überwiegend als Reisejournalistin, beispielsweise für L'Officiel Liechtenstein. Nach „Kopfsprung ins Leben“ bei dotbooks 2016 erschien 2018 ihre erste Young-Adult-Fantasy „Butterflies – Die Göttin wird sich erheben“ bei Twentysix und 2022 ihre lesbische Lovestory „Hinterm Großstadtdschungel links“ bei Butze.

Hinterm Großstadtdschungel links

Manchmal fühlt sich Fredi wie der letzte Single auf Erden – die letzte Station für ihre Ex-Freundinnen, bevor diese ihre große Liebe fanden.

Frustriert stürzt sie sich in die Arbeit. Doch statt der erfolgreichen Reporterin ist sie bloß die redenschreibende PR-Agentin des Bürgermeisters ihrer skurrilen Heimatstadt.

 

Überzeugt davon, dass nur die anderen glückliche Beziehungen führen, lernt die Kleinstadtpflanze ausgerechnet auf einer Trauerfeier die attraktive Künstlerin Sandra kennen.

 

Fasziniert von deren weltgewandter Art lässt sich Fredi auf ein leidenschaftliches Liebesabenteuer ein, bis ihr leise Zweifel kommen … Und dann ist da auch noch Polizistin Bri, die plötzlich wieder solo ist und auf die Fredi schon lange ein Auge geworfen hat … Hinterm Großstadtdschungel links | Butze Verlag (butze-verlag.de)