Der Finstermann - Die Gruselgeschichte

Gruselgeschichte nachts im Wald

Im Finsterwald von Kirchanschöring

Die spannendsten Gruselgeschichten spielen natürlich in einem Wald. Aber nur wenige von ihnen beruhen auf einer wahren Begebenheit. Die unheimliche Geschichte, die sich vor über zwanzig Jahren im "Finsterwald" genannten Wald bei Kirchanschöring zugetragen hat, ist heute eine der ältesten Urban Legends aus Deutschland und eine der besten Gruselgeschichten nachts im Wald. Sie spielt in einem finsteren Waldstück zwischen der Bannmühle und Neunteufeln. Sie ist bis heute nicht vergessen. Was damals schaurige Realität war, ist heute längst Legende: Die Geschichte vom Finstermann von Kirchanschöring - Gruselgeschichte einer Nacht im Wald! 

Dies ist die spannende Gruselgeschichte. Du willst lieber Fakten? Was vermutlich wirklich damals passiert ist, könnt ihr hier nachlesen.

Bonus: Diese  Gruselgeschichte über den Horror nachts im Wald gibt's ganz unten zum Anhören und zum Ausdrucken!

Im Finsterwald

Finsterwald Finstermann Kurzgeschichte
Im Finsterwald

Dort, wo der Wald beginnt, liegen wieder Kerzenstummel am Straßenrand. Etwas ist anders. Eine der Kerzen, wenn auch fast abgebrannt, flackert noch und taucht den Stamm der ersten, sich dort hoch auftürmenden Bäume, in fahles Licht. Der Vollmond scheint silbern vom Dorf her, aber sein Licht dringt nicht weit in den Wald hinein, den man nicht umsonst Finsterwald nennt. Ich zögere, und Caro schaut mich unsicher an, sie schüttelt den Kopf.

Es ist auf den Tag sieben Jahre her, seitdem der Finstermann ein erstes Mal gesehen wurde. Martin hieß der Junge. Ein stämmiger Bursche, dem nichts Angst einjagte. Bis zu dieser Nacht jedenfalls. Es war gar nicht so ungewöhnlich, damals, durch den Wald zu laufen. Auch nicht mitten in der Nacht. Kirchanschöring war ein verschlafenes Nest, in dem seit dem Krieg nichts aufregendes mehr passiert war. In derselben Nacht fand man ihn schweißgebadet vor dem Elternhaus seiner Freundin, heulend, mit den Zähnen klappernd. Keine Stunde war er weggewesen, jetzt lag er zusammengekauert vor der Türe, zitterte am ganzen Leib und stammelte etwas von einem Finstermann. Im Krankenhaus musste er mit starken Medikamenten ruhig gestellt werden und erst Tage erfuhr man, was ihm in der Nacht passiert war. Erst glaubte ihm niemand, weil er so einen Rausch gehabt hat. Aber im selben Sommer tauchte das Wesen wieder auf. Erst sah ihn der Sepp, danach der Alois. Und dann wagte sich keiner mehr nachts durch den Wald. Alle drei waren sich darüber einig, dass der Finstermann groß ist. Mindestens zwei Meter. Pechschwarz, von oben bis unten. Und dort, wo bei Menschen wie uns das Gesicht ist, loderten beim Finstermann einzig zwei glühend rote Augen aus fleischig faulem Schwarz.

Einen Sommer lang verbreitete der Finstermann Angst und Schrecken. Dann verschwand dieses Wesen wieder, ebenso schnell, wie es aufgetaucht war. Und an seiner Stelle tauchten die Kerzenstummel und die Kapuzenmänner auf.

„Ben, denkst du, sie sind noch in der Nähe?", fragt Caro. Sie denkt dasselbe wie ich. „Ich gehe keinen Schritt weiter. Und schon gar nicht in den Wald, das sag ich dir.“

Ein Kauz heult seinen unheilvollen Warnruf aus und sofort habe ich eine Gänsehaut. Caro hat recht. Es war dumm, überhaupt hierher zu kommen. Was haben wir uns eigentlich dabei gedacht?

Bald hatten sie im Dorf größere Angst vor den Kapuzenmenschen, als vor dem Finstermann selbst. Jeden Sommer fand man Kerzenstummel am Straßenrand und im Wald. Stand man zwischen Mitternacht und Morgengrauen am Hipflhamer Berg und sah hinunter auf den Finsterwald, konnte man durch die Bäume hindurch manchmal die Prozession sehen. Niemand wusste, wie viele es waren. Die einen sagten, das sind Satanisten. Andere hielten sie für Anbeter des Finstermanns. Ich fragte mich oft, ob diese Kapuzenmenschen der Grund waren, dass der Finstermann sich verborgen hielt. Ob sie ihm opferten, oder ihn herauf beschworen. Vielleicht hatten sie nur Gutes im Sinne. Aber die blutigen Köpfe der Hasen, die man im Garten vom Breitwieser fand, sprachen eine andere Sprache. Einmal lag sogar eine verkohlte schwarze Katze mit aufgeschlitztem Bauch auf der Straße. Das Herz des Tieres fand man nicht.

„Hast du das gehört?“, fragt Caro. Ich lausche in die Stille. Tief drinnen im Wald hört man Äste knacken und der Wind treibt mit dem Rauschen des Waldes ein Geräusch heraus, das sich wie ein langgezogenem „Ohm“ anhört.

„Ich bleibe hier keine Sekunde länger. Lass uns zurück radeln“, sagt sie und ihre tiefe Stimme klingt ungewohnt aufgeregt, fast schrill.

Ein Lichtkegel erhellt die Bäume und wir drehen uns beide nach dem Auto um. Caro sagt nichts mehr. Sie ist genauso erschrocken wie ich. Niemand fährt um diese Uhrzeit durch den Finsterwald. Vielleicht ein Urlauber. Das Auto bremst ab. Wir halten uns die Hand vors Gesicht und blinzeln in das aufgeblendete Scheinwerferlicht. Das ist nicht gut, schießt es mir durch den Kopf, das ist gar nicht gut. Ich spüre Caros Hand an meinen Arm, was schön ist, würde ich mir nicht vor Angst beinahe in die Hosen machen...

Dann höre ich das dreckigste Lachen, das man sich nur vorstellen kann. Stefan. Der Arsch. Er schaltet auf Abblendlicht und man sieht Nachtinsekten durch die Luft flirren und seinen Mittelfinger aus dem Fenster wedeln.

Es war ja klar, dass er uns folgt. Er war auch mit am Grillplatz gewesen, als wir über den Jahrestag sprachen. Und ich habe absichtlich noch gewartet, bis er zum pissen hinter die Büsche musste, bevor ich mit Caro losradelte. Mir war es sowas von klar, dass er Caro nicht mit einem anderen Jungen in der Dunkelheit allein lassen würde. Trotzdem bin ich enttäuscht. Und wütend, dass ich nicht mutig war, die kurze Zeit mit ihr allein zu nutzen.

Das Innenlicht geht an und die Tür öffnet sich. „Was macht ihr denn hier draußen?", fragt er scheinheilig. „Ihr Kameradenschweine habt euch gar nicht von mir verabschiedet.“

„Verpiss dich, Freiberger!“, zischt Caro mit scharfer Stimme und ich muss grinsen. „Das hier ist viel zu gefährlich für dich!“

Stefan lacht und klopft auf die Motorhaube. „Hey, kleines Prinzeschen, du willst doch die Kavallerie nicht schon vertreiben, bevor es überhaupt brenzlig geworden ist?"

„Was meinst du damit?“, frage ich. Die Situation wird mir immer unangenehmer.

„Na, ihr wolltet doch da rein.“ Er deutet auf den Wald. „Nur Selbstmörder und todeshungrige Satanisten würden um Mitternacht mit dem Rad da rein. Aber ich habe ein Auto. Und ihr wollt ja vor den anderen nicht wie Feiglinge dastehen und den Schwanz einziehen?"

Ich könnte ihm eine reinhauen. Die anderen wissen genau so gut wie er, dass der Finsterwald nur ein Vorwand war, um mit Caro allein zu sein. Aber jetzt ist sowieso alles im Eimer. Und das schlimmste ist, das wird ganz schnell klar, dass Caro Feuer und Flamme ist. „Ja, lass uns durch den Wald fahren. Was soll uns im Auto schon passieren? Das wäre doch echt abgefahren, wenn wir was sehen würden!"

Mir ist auf einmal unendlich schlecht und ich bereue es, auf diese bescheuerte Idee, hierherzufahren, gekommen zu sein. Ich will nur noch zurück zum Grillplatz und zu meiner angebrochenen Flasche Bier und hätte gerne eine Zeitmaschine, um die wenigen Minuten mit Caro zu nutzen und ihr endlich, naja, das eine halt, zu sagen.

Aber sie nimmt mich gar nicht mehr wahr und springt auf die Rücksitzbank von Stefans kleinem Wagen.

Er grinst mich mit glasigen Augen an und flüstert: „Sorry, Kumpel. Manchmal verliert man halt. Und manchmal gewinnen die anderen."

Ich setze mich auf den Beifahrersitz und er bietet mir seine so gut wie leere Flasche Bier an. Ich schüttle den Kopf und suche nach Caros Augen im Rückspiegel.

„Los geht's!", ruft sie mit einer Begeisterung, die mich an den Geschichtsunterricht und die Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg erinnert. Der Freiberger stimmt schreiend mit ein: „Und wenn der beschissene Finstermann auf der Straße steht, dann bretter ich einfach über ihn drüber!"

Der Motor dröhnt auf, Stefan mach einen Kickstart, Reifen quietschen und es riecht nach verbranntem Gummi. Aus dem Kassettenrekorder dröhnt „No selfesteem“ von Offspring. Genau so fühle ich mich.

Nach wenigen Metern bremst er plötzlich ab und fährt im Schritttempo durch den Finsterwald.

Bald ist die Welt um uns herum schwarz und vor uns zeichnet sich in tausend Grautönen der Wald im unheimlichen Licht der Scheinwerfer ab.

Mitten auf der Straße liegen weitere Kerzenstummel und es macht ein knirschendes Geräusch, als wir darüber fahren. „Das ist gruselig", höre ich Caro auf dem Rücksitz sagen. „Kannst du nicht schneller fahren?"

Stefan grinst mit seinen schiefen Zähnen. Er dreht sich fast mit seinem ganzen Oberkörper zu ihr um und starrt sie konzentriert an, als wäre er gerade beim Rückwärtsfahren bei der Führerscheinprüfung. „Also ich find's romantisch", sagt er und fährt gefühlte zwei Stunden weiter, ohne auf die Straße zu schauen, ehe er sich wieder auf vorne konzentriert. Es ist auf einmal ganz leise im Auto. Man hört eine Stecknadel fallen. Dann schauen wir instinktiv alle drei gleichzeitig auf die große Fichte, deren gesamter unterer Stamm mit einer dicken Wachsschicht bedeckt ist. Zahllose Kerzen liegen davor herum, als sei erst kürzlich Lady Di dagegen gekracht. Stefan fährt, was eigentlich kaum möglich ist, noch langsamer. Mit unheimlicher Porno-Gruselstimme sagt er feierlich: „Hier war es. Hier hat vor genau sieben Jahren der Finstermann ein erstes Mal zugeschlagen. Der Martin hat mir mal die Stelle gezeigt. Ja, genau dort war es."

 

 

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Der Baum sieht wirklich gruselig aus und mir kommt auf einmal der Gedanke, dass auch die Kapuzenmännchen heute Jubiläum feiern könnten und der ganze Wald sicher voll von Satanisten ist. Sofort bekomme ich einen eisigen Schüttelfrost, als ob ich in der Unterhose durch den Schnee laufe und meine Hände beginnen zu zittern.

„Fahr weiter!", sage ich, etwas lauter als gewollt. „Da macht sich einer wohl gleich in die Hosen?" Das Auto bleibt natürlich mit einem Ruck stehen und er schaltet das Licht aus.

Ich reiße mich zusammen. Caro soll nicht merken, dass mein Herz, von dem ich ihr eigentlich beichten wollte, irgendwo in meine Hose gerutscht ist.

„Ich hab keine Angst, Freiberger", sage ich barsch. Und weiß sofort, dass das ein schlimmer Fehler war.

„Mutprobe", murmelt er kühl, beschleunigt und biegt plötzlich unvermittelt nach rechts in einen Feldweg ab. „Der Psycho“, denke ich noch.

Äste peitschen gegen die Fenster und das Auto schaukelt wild hin und her. Wir fahren mitten in den Wald hinein. Da ist nichts mehr außer dichtes Gehölz und die Nacht. Und vielleicht der Finstermann und einige Satansanbeter. Also kein Grund zur Beunruhigung.

Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Vor wichtigen Schulaufgaben neige ich dazu, zu hyperventilieren. Es ist schlimm genug, dass ich dem Freiberger die Steilvorlage gegeben habe, mir eins auszuwischen. Aber, dass Caro mich als ängstlichen Feigling sieht, zieht mir echt den Stecker. Ich konzentriere mich darauf, dass weder die Polizei, noch die Presse auch nur den kleinsten Hinweis auf die Existenz des Finstermannes gefunden haben. Und auch der tödliche Unfall eines Schülers hier im Wald war auf Alkohol am Steuer und nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen. Es gibt also keinen Grund, Angst zu haben, wenn man keine Angst im Dunkeln hat.

Habe ich aber. Stefan bremst abrupt ab. Er schaut mich herausfordernd an. „Wenn du aussteigst, einmal um das Auto läufst und wieder einsteigst, werde ich dich nie wieder einen Feigling nennen."

„Ich geh da nicht raus!" Ich könnte kotzen. Und wenn nicht gleich ein Wunder passiert, tu ich es auch

„Jetzt komm schon, FEIGLING! Nur ein paar Meter. Ist doch nichts dabei!"

Caro beugt ihren Kopf nach vorne. Ich kann ihre duftenden Haare riechen. „Mach es einfach. Wird schon kein Finstermann aus dem Gebüsch hüpfen. Du weißt genau so gut wie ich, dass der Freiberger erst lockerlässt, wenn du es getan hast. Ben, ich bin todmüde und will heim. Echt."

„Einmal ums Auto?", frage ich. Das hört sich nicht zwingend lebensbedrohlich an und ich bin ein wenig erleichtert.

„"Ok, ich mach’s."

„Na bitte." Stefan grinst dämlich und bleckt die zigarettengelben Zähne.

Ich steige aus. Es ist totenstill und vom Bach her, der nicht weit sein kann, weht ein eisiger Luftzug. Es riecht ganz intensiv nach Moos und modrigem Holz. Einmal uns Auto.

 

Plötzlich geht das Licht aus und es ist stockdunkel.

War ja klar. Aus dem Auto höre ich dumpf das Lachen vom Freiberger. „Mach schon, Feigling!", ruft er. Ich taste mich an der Kühlerhaube entlang. Auf einmal leuchten zwei rote Lichter auf. Ich starre erschrocken auf das Auto. Der Freiberger streckt mir den Mittelfinger entgegen. Der laufende Motor heult auf und dröhnend fetzt der Renault rückwärts in die Dunkelheit. Ohne lange zu überlegen, laufe ich dem Auto nach, doch der Freiberger ist schneller.

Als ich begreife, was passiert ist, stehe ich mutterseelenallein mitten im Wald. Ich sehe kaum die Hand vor Augen und es ist so still, dass ich meinen pochenden Herzschlag durch meinen Kopf hämmern höre.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geheult habe, es war wohl damals, als diese Sache mit Caro begann, jedenfalls wäre jetzt der Augenblick dafür. Aber es passiert nichts. Ich bin ganz ruhig, abgesehen von dem Zähneklappern und den Schweißausbrüchen. Das also ist der Schockzustand, denke ich und überlege. Ich muss nur dem Feldweg folgen, dann gelange ich zur Straße und in weniger als einer Viertelstunde ist der Alptraum wieder vorbei.

Ich gehe langsam, Schritt für Schritt den Feldweg entlang. Der Boden schmatzt sumpfig an meinen Schuhen. Immer wieder halte ich an, meine, ein Geräusch zu hören. Aber da spielt mir meine Fantasie wohl einen Streich. Doch da: Schon wieder. Ich bleibe stehen. Da war wieder das Knacken von Zweigen. Ich rede mir ein, dass es nur ein Reh war und gehe weiter. Dann höre ich Stimmen. Ich bleibe stehen. Nichts. Was ist nur los mit mir? Was ist mit diesem verdammten Wald los?

Jetzt ein Schrei. Weit weg, aber eindeutig ein Schrei. Ich schaue nach links, nach rechts, doch so sehr ich meinen Kopf drehe und wende, es ist nichts zu sehen.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als schneller zu gehen. Ich muss hier raus. Ich muss hier einfach raus.

Das Knacken der Zweige wird lauter.

Mein Gehirn rattert in einer Geschwindigkeit, als wollte es mein Herzrasen einholen. Ohne, dass etwas Vernünftigeres dabei herauskommt als: Lauf! Lau! Lauf, verdammt nochmal! Aber ich habe keine Füße mehr. Nur noch zwei schwammige Stulpen, die ihren Dienst eingestellt haben. Zum Weglaufen ist es ohnehin zu spät, da aus dem Rascheln jetzt schwere Schritte werden. Und aus dem Nichts taucht jetzt die schemenhafte Statur des Finstermannes auf, der sich seinen Weg durch das Gebüsch bricht.

Mir bleibt das Herz stehen und ich stoße einen Schrei aus. Einen spitzen Schrei, der in hysterisches Lachen umkippt. Denn der Finstermann trägt Sneakers und ist kleiner als ich und hat lange Haare und ein hübsches Gesicht. Ich bin außer mir vor Erleichterung und falle Caro um den Hals. Sie hält mich fest und macht keine Anstalten, mich loszulassen. „Hast du gedacht, ich lass dich alleine zurück?", sagt sie. „Ich hatte nur Schiss, dich nicht mehr zu finden. Dann wären wir beide im Arsch gewesen." Ihre Stimme klingt erleichtert und sie gibt mir einen Kuss auf den Mund. Ich bin sowas von perplex, dass ich sie zurückküsse und auf einmal dreht sich die gesamte Welt um. Wir küssen uns im Dunkeln und eine Weile ist es scheißegal, dass wir im Finsterwald sind. Bis uns das Geheul eines Kauzes aufschrecken lässt. Caro spielt immer die Mutige, aber ich sehe ihr an, dass sie Angst hat. Sie lächelt mich unsicher an, da gefriert ihr Gesicht. „Was ist?" Ich fürchte, sie bereut unseren Kuss. „Siehst du das auch?" Ihre tiefe Stimme ist alarmiert. Ich folge ihrem Blick. Erst sehe ich nur die dunkelschwarzen Schemen der Bäume. Dann sehe ich, was sie so verschreckt. Zwei feuerrot glühende Augen starren uns aus der Dunkelheit an. In kneife meine Augen zusammen in der Hoffnung, mich zu irren. Sie sind einige Meter weg, aber sie sind da. Riesig, bedrohlich. Der Finstermann zwinkert kurz, dann starrt er wieder in unsere Richtung als wollte er uns sagen: „Ich hab euch!“ Caro zerrt mich an der Hand und beginnt zu laufen. Wir rennen um unser Leben, mitten in den Wald hinein. Zweige peitschen mir ins Gesicht, mehrere Male stolpere ich über Wurzeln. Irgendwann bleibt Caro stehen. Die roten Augen sind nicht mehr zu sehen. Entweder wir haben den Finstermann abgehängt, oder er hat kein Interesse an schmächtigen Schülern. „Hab ich heute schon mal erwähnt, dass ich einfach nur heim in mein Bett möchte?", fragt sie und seufzt. „Ich auch", sage ich und füge eilig hinzu: „In mein Bett, meine ich." Sie ringt sich ein Lächeln ab und ich habe keine Ahnung, ob dies die romantischte, oder die schrecklichste Nacht meines Lebens ist.

Vermutlich die schrecklichste, weil von diesem Kuss niemand was ahnen wird, wenn sie morgen unsere vom Finstermann zerfleischten Leichen finden.

Wir sind jetzt irgendwo im Wald und haben die Orientierung verloren. Nicht einmal der Mond ist mehr zu sehen. Wir diskutieren, was wir tun sollen. Caro hat auf einmal einen ganz harten Gesichtsausdruck. Sie ist wieder die starke, unnahbare Caro aus dem Schulbus und ich bekomme wieder Hoffnung, hier doch noch lebend raus zu kommen.

„Der Wald ist jetzt nicht gerade der Amazonas oder so", sagt sie. „Wenn wir nur eine Weile in dieselbe Richtung laufen, müssen wir irgendwann eine Lichtung erreichen." Dummerweise wissen wir nicht ansatzweise, wo Süden ist. Denn im Süden ist das rettende Dorf. Der Straße trauen wir nicht, es bleibt unausgesprochen, aber auch sie fürchtet, dass dort der Finstermann lauert.

Ich folge Caro ins Dickicht. Zweige knacken, wir veranstalten einen Höllenlärm. Wenn uns jemand auf den Fersen wäre, hätte er uns längst schnappen können.

Auf einmal wird die Luft kühler. Caro bleibt stehen. „Was ist das?" „Shht", macht sie. Dann höre ich es auch. Wasserplätschern. Wir sind am Bach angekommen.

„Der Bach fließt zum Dorf!", ruft sie erleichtert und wir folgen dem Flusslauf. Der Boden ist morastig und meine Schuhe sind nass. Die Euphorie ist schnell verflogen, weil es immer schwieriger wird, einen Weg durch das Dickicht zu finden. Caro beginnt, immer lauter zu fluchen und ich fürchte, ihre Flüche gelten mir, weil ich sie in dieses Schlammassel reingeritten habe. Aber irgendwann dreht sie sich um und sagt: „Wenn wir hier heil rauskommen, dann reiß ich dem Freiberger seinen arroganten Kopf vom Hals, das versprech..." Aber weiter kommt sie nicht. Vor uns steht eine alte Fischerhütte. Schwarz und verwittert, wohl hundert Jahre alt. Aus ihrem Inneren leuchtet Kerzenlicht. "Das gefällt mir gar nicht."

Es gefällt mir noch weniger, als ich ein höhnisches, teuflisches abgehacktes Lachen aus dem Inneren höre.

„Ist das die Kultstätte der Satanisten?", flüstert sie. „Lass uns von hier verschwinden."

Wir schleichen in einem weiten Bogen um die Hütte herum. Dann stolpern wir regelrecht auf eine Forststraße und im selben Moment hören wir Stimmen aus dem Wald. Eine Gruppe Männer nähert sich. Ich kann erst nichts sehen, weil sich hier in der Nähe vom Bach Nebel gebildet hat, aber ich spüre Caros Griff an meiner Hand, der so fest wird, dass er mir das Blut abschnürt.

Jetzt ist eine Gestalt zu sehen, ein Mann mit Kapuze. Dann die Silhouette einer Sense. Instinktiv springen wir zur Seite und legen uns hinter einem Busch flach auf den feuchten Waldboden.

Der Kapuzenmann mit der Sense kommt immer näher. Hinter ihm weitere Männer. Sie summen „Omm! Omm!"

Ich kralle meine Fingernägel in die Fichtennadeln, so sehr zittern sie und ich höre Caros heftiges Atmen dicht an meinem Ohr.

Ich schließe die Augen und halte den Atem an. Genau auf unserer Höhe höre ich, wie sie stehenbleiben. Ich beginne, innerlich zu beten. Bis mich Caro anstupst.

Sie deutet auf den Kapuzenmann. Er trägt zwar eine Kapuze, allerdings steht auf dem Kapuzenpulli das Wappen des Sportvereins. Und auch die anderen Gestalten tragen Trainingsanzüge.

Wir grinsen uns beide erleichtert an und beobachten die Fußballer, wie sie sich der Hütte nähern. Jeder hat einen Dreschflegel, eine Sense oder eine andere Waffe in der Hand und alle sind recht wackelig auf den Beinen. Am Ende entdecke ich den Freiberger. Wir springen aus unserem Versteck und der Freiberger macht, ungelogen einen Satz von einem halben Meter, kreischt mit einer Stimme auf, mit der er jedes Backstreet Boys Konzert übertönt hätte und hält sich die Hand an die Brust, als könnte er damit einen Herzinfarkt verhindern. Caro und ich lachen so erleichtert und glücklich, endlich gerettet zu sein, dass ich auf den Freiberger gar nicht mehr wütend bin und ihm am liebsten um den Hals fallen würde.

Er seinerseits freut sich nicht ganz so. „Seid ihr bescheuert oder was? Ich trommel halb Anschöring zusammen, um euch zu retten und ihr killt mich zum Dank beinahe. Mann, sowas hält meine Pumpe nicht mehr aus."

„Dann rauch nicht so viel", sagt Caro und lächelt erleichtert. Die Fußballer sind inzwischen um uns geschart und wollen wissen, ob es uns gut geht.

„Wir haben ihn gesehen!", platzt es aus uns heraus. „Ich schwöre es euch, er stand direkt vor uns und hat uns mit seinen roten Augen angeschaut." Die Fußballer diskutieren aufgeregt miteinander und klirren mit ihren Sensen.

„Der soll nur kommen", sagt der Freiberger mutig, aber seine Stimmlage singt ein anderes Lied.

Ich deute in Richtung Hütte: „Und wir haben die Kultstätte der Satanisten entdeckt: Dort in der schwarzen Hütte."

Umgehend setzt sich der Tross in Bewegung und ein Dutzend, nach langer Spielersitzung aufgeputschter Fußballer der zweiten Mannschaft, stürmt auf die Hütte zu.

Wider sämtliche Vernunft folge ich mutig dem Trupp. Immerhin sind sie viele und bewaffnet.

Sie erreichen die Hütte und wieder hört man daraus das grässliche Lachen. Der Tross hält ein und ich bin auf einmal nicht mehr so mutig. Alle starren auf das durch das Fenster flackernde Kerzenlicht. Das höhnische Gelächter ist markerschütternd. Ich merke, wie der Freiberger einige Schritte rückwärts macht und hinter Caro Deckung sucht. Plötzlich schreit er: „Ihr Feiglinge! Rein in die Hütte!"

Wie auf Kommando stürmen die vordersten mit Gebrüll die Hütte. Auf einmal ist es totenstill.

Ich merke, wie sich Caro am Feiberger festhält und bin auf einmal unglaublich wütend. Ich schleiche mich an Fußballern mit fragenden Gesichtern vorbei, die meisten sind ängstlich draußen geblieben. „Was ist los?", sage ich noch barsch, dann reiße ich krachend die Türe zur schwarzen Hütte auf.

Ich muss lebensmüde sein. Aber im Moment habe ich auch nichts dagegen, von Satanisten erdolcht und vom Finstermann verspeist zu werden.

Aber in der Hütte sitzen keine Satanisten. Sondern der Geierstanger und drei seiner Fischerfreunde beim Schafkopfen. Der Geierstanger hat wohl ein gutes Blatt, lacht dreckig und der Fußballer mit der Sense schaut über seine Schulter.

 

Ich schaue wieder hinaus und recke den Daumen in die Höhe: „Alles in Ordnung! Ist nur der Geierstanger und seine Schafkopfrunde!"

Die Fußballer lachen laut und lassen ihre Sensen sinken. Nur Caro lacht nicht. „Das ändert nichts daran, dass wir den Finstermann wirklich gesehen haben!"

Finstermann hin oder her, wir sind gerettet. Im Gänsemarsch setzt sich der Tross in Richtung Straße in Bewegung. Ich versuche, nach Caros Hand zu greifen, aber sie zieht sie zurück. Ich weiß nicht, ob es am Freiberger liegt, der uns nicht aus den Augen lässt, oder ob sie vorhin nur einen schwachen Moment hatte.

Wir sehen schon die Parklichter der an der Straße abgestellten Wagen, als Caro einen Schrei ausstößt: „Da! Da ist er!" Alle blicken erschrocken auf die roten Augen. Ein heilloses Durcheinander entsteht, als die vordersten nach hinten Drängen. Der Freiberger und Caro drücken sich eng an mich und ich höre sein verängstigtes Schnaufen dicht an meinem Ohr.

Einen Augenblick lang verschwinden die Augen, dann tauchen sie wieder auf und ein halbes Dutzend Fußballer schreit entsetzt auf.

Ich fühle mich ganz ruhig, irgendwie bin ich sicher, dass ich Caro so schnell nicht wieder so nahe sein werde. Wäre der Freiberger nicht, ich würde es sogar genießen. Ich habe Angst, schreckliche sogar, aber wenn ich jetzt sterben müsste, könnte es kaum schöner sein.

Ich schaue dem Finstermann tief in die Augen, während um mich herum die Welt stehenbleibt. Mein Herz pocht wie verrückt und ich spüre ihre Haare in meinem Gesicht.

Der Finstermann zwinkert mir zu und auf einmal kommen mir die rot funkelnden Augen sehr bekannt vor.

Ich muss lachen.

„Was ist los?", fragt Caro.

„Wir sind solche Idioten."

Alle schauen mich an. Ich deute auf die roten Lichter: „Das sind die Lichter der Müllverbrennungsanlage in Trimmelkamm!", rufe ich und lache wieder.

Tatsache. Unsicher und beschämt stimmen die anderen in mein Gelächter mit ein. Caro und der Freiberger lassen mich wieder los und tun als o nichts geschehen wäre.

Es war eine lange Nacht und ich nehme das Angebot vom Freiberger an, uns nach Hause zu fahren.

Wir fahren an den Kerzen vorbei und als wir das Ende des Waldes erreicht haben, sehe ich im Rückspiegel einen großen schwarzen Mann auf die Straße treten. Als ich Caro anstupse, ist er nicht mehr zu sehen.


Bernhard Straßer und Axel Effner im Finsterwald
(c) Axel Effner

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Der Finstermann von Kirchanschöring
Eine unheimliche Geschichte nach der urban legend des Finstermann von Kirchanschöring
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Der Finsterwald im Podcast Geister-Café:

Hier liest Euch Ilky von den Fuefftys die ganze Geschichte im Podcast "Das Geister Café" vor: https://dasgeistercafe.letscast.fm/episode/das-geister-cafe-spooktober-tag-11-der-finsterwald


Finstermann_von_Kirchanschoering
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Ein weiterer Bericht mit Details zum Finstermann ist hier zu finden:

Bericht aus der Rupertiwinkler Rundschau

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