So war unser erster Schultag

Der erste Schultag ist für Kinder bekanntlich ein einschneidendes Erlebnis, der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Was dabei aber oft vergessen wird ist, dass der erste Schultag auch für Eltern ein aufregender Tag ist und eigentlich auch wir eine Schultüte redlich verdient hätten! Während Bastian ab sofort Teil der ersten Wald-Klasse Traunsteins ist, sind wir Eltern nun nach fünf Jahren Surberg endgültig Teil der Elternschaft Traunsteins. 

Mein erster Schultag 1985
Mein erster Schultag 1985

Wir haben genau gewusst, auf was wir uns einlassen, dennoch mussten wir am ersten Schultag einmal tief ein- und ausatmen: Dadurch, dass wir unsere Kinder bewusst die letzten drei Jahre im Kindergarten Lauter gelassen hatten, wussten wir, dass Bastian kein einziges Kind in seiner gesamten Jahrgangsstufe kennen würde. Das ist für ein Kind nicht schön. Für die Eltern aber der pure Horror. Als wir mit dem fesch angezogenen, frisch geduscht und gekämmten Schulanfänger die Turnhalle der Schule betraten und wir kein, wirklich kein einziges bekanntes Gesicht entdeckten und sich Bastian mutterseelenallein zwischen die fremden Kinder setzte, wäre mir beinahe das Herz stehengeblieben. Sofort begannen die Fragen zu rattern: Was machen wir hier eigentlich? Wird er hier je Freunde finden? Werden wir Freunde finden? Wo ist der Gastschulantrag für Surberg?

Ein kleines Detail habe ich natürlich noch verschwiegen: Obwohl Bastian bekanntlich nicht klein ist, ist er – die anderen Kinder müssen alle zu groß für ihr Alter sein – das kleinste Kind seiner Klasse. Vor lauter Angst, dass unser Kleiner – wir dürfen das sagen – in der Masse der Schüler untergeht, positionierte sich die Mama stets in Sichtweite. Ob sie ihm zeigen wollte, dass er nicht alleine ist, oder sie ihn im Blick haben wollte, um ihn vor allen Übeln dieser Welt zu beschützen, war nicht klar zu erkennen. Ich versank in der Zwischenzeit zwischen den anderen Eltern und fühlte mich so unsicher, als hätte ich selbst den ersten Schultag.

Dann mussten wir unser Kind tatsächlich alleine lassen. Die Schulklassen verließen die Turnhalle und verschwanden in den Klassenzimmern. Wir blieben ängstlich zurück und wären uns am liebsten heulend in die Arme gefallen. Die einzige Hoffnung war, dass die Wald-Klasse glücklicherweise gleich von drei Lehrkräften betreut wurde, dass diese schon auf unseren Kleinen schauen würden. Und Bastian war selbst so schlau, sich gleich an die Klassenlehrerin anzuhängen, wenn er schon die Kinder nicht kannte.

So gingen wir in der Zwischenzeit zum Eltern-Café, um die anderen Eltern kennen zulernen. Glücklicherweise waren dort endlich ein paar bekannte Gesichter. Wir sind also nicht ganz allein in Traunstein. Dort wurde bei Kaffee und Kuchen darüber sinniert, ob es wirklich sinnvoll ist, jeden einzelnen Stift und Radierer mit dem Namen des Kindes zu beschriften. Das haben wir nämlich getan. Stundenlang wurde alles, wirklich alles, was irgendwie verloren gehen kann, mit Namen des Kindes beschriftet. Die anderen schauten uns mit hochgezogenen Augen an. Hey, wir sind Schulanfänger! Wir haben noch überhaupt keine Ahnung, wie es läuft!

Zwei Stunden später waren die Kinder schon wieder abzuholen. Die Eltern und Omas und Opas warteten gespannt in der Aula. Groß war der Jubel, als die Kinder die Treppe hinunter hopsten. Manche Schultüte war größer als das gesamte Kind. Und einige der selbstgebastelten Schultüten waren auseinander gegangen. „Schau, es war doch nicht verkehrt, dass wir unsere gekauft haben“, flüsterte die Mama, die sich zuvor noch als Rabenmutter gefühlt hatte. Am meisten erleichtert waren wir aber, dass unser Kind stolz strahlte. Der erste Schultag war also gut gegangen. Es hatte ihm Spaß gemacht und die Wahrscheinlichkeit, dass er am nächsten Tag wieder hingehen würde, stand gar nicht so schlecht.

Und dann gab es ausgerechnet auf dem Weg von der Schule zum Schulgottesdienst noch eine dieser Szenen, die uns Eltern die Freude am Schulbeginn rasch zunichte machen lässt: Eine wildfremde Passantin begann unseren laufenden Meter mit dem riesigen Schulpack auf dem Rücken kritisch zu beäugen. Auf einmal schimpfte sie, dass es eine Frechheit sei, dass so kleine Kinder schon in die Schule gehen müssten und dass es so etwas früher nicht gegeben hätte. Schlimmer noch, wir wurden gefragt, ob unser Kind eine Wachstumsstörung hätte. Ja fragt uns doch gleich, ob unser Kind behindert ist!

Das war natürlich der Todesstoß für uns Eltern, die den ganzen Tag schon mit dem mulmigen Gefühl zu kämpfen hatten, dass wir unserem Kind zu viel zugemutet hatten. Zumindest, wenn es sich um eine aufrichtig besorgte Bürgerin gehandelt hätte. Da es vermutlich aber eine typisch kleinstädtische "Zwiederwurzen" war, die nur darauf lauerte, sich über jede noch so nichtige Kleinigkeit aufregen zu können, waren wir anschließend nur noch wütend.

Denn unser Kind ist vielleicht nicht der größte, er ist aber bereits sechs Jahre alt und – wie seine Wald-Lehrerin gleich festgestellt hatte, „klein aber oho“.

Eine Lektion haben wir an diesem Tag also gelernt: Die Körpergröße ist für Kinder selbst überhaupt kein Thema. Nur Eltern tun sich mit allem schwer, was nicht der Norm entspricht. Auch wir haben uns natürlich den Kopf zerbrochen, warum Bastian so langsam wächst. Haben geforscht, ob wir in der Verwandtschaft ähnliche Fälle haben. Fanden aber keine Erklärung. Bis meine Schwester eines Tages einen Lachanfall bekam und mir erklärte, dass ich selber noch in der fünften Klasse das kleinste Kind am ganzen Gymnasium war. Seltsam… daran konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. War mir anscheinend wurscht. Und ich hoffe, dass es Bastian genau so geht und er eines Tages, wenn er diese Zeilen liest, ganz erstaunt nachfragt, ob er wirklich der kleinste in der Klasse gewesen ist.

 

Den ersten Schultag haben wir jedenfalls zusammen mit Oma und Opa beim Hofbräuhaus mit Knödel und Schnitzel gefeiert. Und auch die folgenden Schultage sind gut verlaufen. Bastian hat die ersten Freunde gefunden und auch wir Eltern sind guter Dinge, dass wir bald neue Freunde an der neuen Schule finden werden… 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0