Mittlere Alltags-Krise

Alltag? Ein Wort, das mir die Haare zu Berge stehen lässt! Zwischen Atom-Drohungen und hustenden Kindern versinke ich im Chaos. Mein Geheimrezept? Flucht nach New York – oder doch ein Tesla?

Also wenn ich noch einmal das Wort „Alltag“ lese, dann flipp’ ich aus! Alltag ist ja so ziemlich das Schlimmste, was wir jeden Tag haben. Und dann auch noch eine Kolumne darüber schreiben! Wie kommt man denn nur auf so eine Idee? Denn, so wie mein Alltag alltäglich ist, habe ich gar keine Zeit, eine Kolumne zu schreiben. Früher, ja früher, da war der Alltag noch so, wie man sich Alltag vorstellt. Heute, schaut mein Alltag ungefähr so aus: Montag Lesung auf großer Bühne, Dienstag Atom-Drohungen von Putin, Mittwoch werden irgendwelche RAF-Terroristen geschnappt, Donnerstag muss ich „kindsen“ und ab Freitag ist ein Kind so krank und hält mich dermaßen auf Trab, dass mir selbst Atombomben-Apokalypsen und Capoeira tanzende Terroristinnen nur noch ein erschöpftes Schulterzucken entlocken können. Dabei hat der Kleine nichts ernstes, sondern nur Husten. Aber bei dem Chaos, das dadurch in unseren Alltag getreten ist, würde ich dem Alltag auch ganz gerne mal was husten! Wie lange dauert eigentlich so ein Alltag? Und wann ist er endlich vorbei, denk ich mir manchmal. Und dann frage ich mich, ob es nur mir so geht, dass ich eine Alltags-Krise habe, oder ob ich mich endgültig der Midlife-Crisis nähere. Und ob es auch eine Alltags-Midlife-Crisis gibt. Und ob die dann beim Mittagessen wäre. Vielleicht ist es ja gar nicht der Alltag, der mir langsam den letzten Nerv raubt, sondern die ganzen Krisen. Denn wenn Krisen zum Alltag werden, dann läuft definitiv etwas falsch. Aber ist ein krankes Kind und ein zweites, das vor Langeweile beinahe schon stirbt, bereits Krise, oder ist das Alltag? Sind die Zensuren des Zwischenzeugnisses bereits Alltag oder Krise? Nur für den Fall, dass der Alltag gar nicht so schlimm ist, sondern nur ich eine Krise habe, habe ich letztens vorgesorgt: Ich habe der Familie euphorisch verkündet, dass ich mir im Falle einer Midlife-Crisis keinen Porsche oder Tesla kaufen werde, sondern unter dem Vorwand, nur schnell Zigaretten holen zu gehen, für ein paar Tage wie Kevin alleine nach New York fliegen werde. Die Kinder waren aufrichtig entsetzt. Sie hatten sich schon auf einen Tesla gefreut. Meine Frau beäugt mich seitdem misstrauisch, ob ich heimlich das Rauchen anfange oder mir New York-Reiseführer kaufe. Mache ich natürlich nicht. Denn so anstrengend sich der Alltag manchmal anfühlt, schaue ich, wie es anderen Menschen in anderen Ländern so geht, die nicht nur aus ihrem Alltag flüchten müssen, bin ich total dankbar für meinen Alltag in Weißblau.

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