20 Jahre Festival im Grünen - Vom Carei zum Kult-Festival

Das Im Grünen Festival in Kirchanschöring ist heute eines der größten von jungen Idealisten organisierten Festivals in Südostbayern. Einmal im Jahr fallen tausende Festivalgäste in das kleine Dorf ein und stellen das Dorfleben der Gemeinde völlig auf den Kopf. La Brass Banda spielte hier eines der ersten Konzerte und blieb lange eng mit dem Im Grünen Team verbunden. FM4-Größen von Petsch Moser über Russkaja bis hin zu den Sternen – sie alle haben in Kirchanschöring gespielt.

Was heute ein routiniert durchorganisiertes Festival ist, begann als Projekt einer Jugendgruppe. Ein nostalgischer Blick zurück:

Alles begann mit dem „Carei“

Vor dem „Carei“ war die Kirchanschöringer Jugend – wie fast überall in Bayern – in der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) organisiert. Doch eine wachsende Zahl Jugendlicher wollte weder Landjugendfeste noch Vereinsstrukturen. Sie wollten eher Teil einer Bewegung als eines Vereins sein – und chillten lieber vorm Schulgebäude. Das gefiel dem Gemeinderat wenig, also wurde der Jugendpfleger Günter Wimmer engagiert.

 

Wimmer war im Chiemgau als Fußballer und Musiker (u. a. mit „Die Springer“ und der „Guten A-Band“) bekannt. Ihm gelang es, den wilden Haufen zumindest so weit zu organisieren, dass die Gemeinde ihnen ein eigenes Quartier überließ: ein baufälliges Caritas-Haus, das fortan „Carei“ hieß. Jeder, der dort ein- und ausging, war Teil dieser lockeren Clique.

FM4 Sound statt AC/DC und Bon Jovi

Carei-Fotoshooting
Carei-Fotoshooting

Das südöstliche Oberbayern war damals eine Hochburg für Maschinenhüttlfeste, Rüscherl und DJs, die Bon Jovi und Scooter auflegten. Doch die Carei-Jugend stand auf Tocotronic, Franz Ferdinand und Indie-Sound. Also beschlossen sie, eigene Partys zu machen – mit dem Werbeslogan: „Garantiert ohne Spitz Audio!“

 

Diese Partys liefen gut, die Gruppe wuchs – und irgendwann stellte sich die Frage: Wenn wir das können, warum nicht gleich ein Festival?

2005 - Die Geburt des „Im Grünen“ Festivals

Ideensuche für die ersten Plakate
Ideensuche für die ersten Plakate

2005 war es soweit. Innerhalb von nur sechs Wochen stampfte die Carei-Clique ein Festival im Anschöringer Achenpark aus dem Boden.

Den Namen „Im Grünen“ erfand der Legende nach der Maggei vom Team beim Dorfwirt, dem „Felber“. Treffender hätte man es nicht nennen können – schließlich lag die Wiese mitten in der Natur.

 

Von Anfang an wurde das Festival allein von Jugendlichen organisiert – damals 15- bis 17-Jährige, die das Know-how ihres Jugendpflegers Günter Wimmer nutzten. Später machte Wimmer daraus seine Eventagentur, blieb dem Festival aber treu. Viele vom Gründungsteam sind auch Jahre später noch dabei – inzwischen selbst mit Familie, aber immer noch mit Herzblut.

Headliner 2005: Bradley’s H – und 1 100 Besucher

Schon die erste Ausgabe wird ein Erfolg: 1 100 Gäste pilgern in den Achenpark, Headliner ist die lokale Ska-Reggae-Band Bradley’s H.

Der Ruf des Festivals verbreitet sich schnell. Trotz jugendlichem Organisationskomitee läuft alles professionell, gleichzeitig bleibt die Stimmung legendär:
Bands wie die Kilians oder Keller Steff sitzen „backstage“ in der Stube von Yvos Oma und spielen Gitarre für sie. Petsch Moser helfen nach ihrem Auftritt beim Aufräumen, statt ins Hotel zu fahren.

 

Drei Jahre später knackt das Festival die 3 000-Besucher-Marke – und setzt bewusst eine Grenze: Qualität statt Quantität.

Festival-Highlights

2010 holt das Team zum ersten Mal ernsthaft Hip-Hop und Electro in den Achenpark: Sprachgewaltig, Mustard Tubes und die Taktattackers treffen auf Indie-Popper Fertig Los! – das Publikum tanzt quer über alle Genres. 

Festivalticker

 

Ein Jahr später wagt man sich an ein Zwei-Bühnen-Konzept. Beat!Beat!Beat!, Jamaram und Angelika Express liefern ein launiges Wechselspiel zwischen Indie-Riffs und Offbeat-Grooves, während Rainer von Vielen das erste große Nachmittags-Unplugged spielt. 

Festivalticker

 

2012 markiert den vorläufigen Höhepunkt der künstlerischen Experimentierfreude: Ja, Panik und Bratze bringen Wiener Diskurs-Indie bzw. Electropunk ins Chiemgau – ein Kontrastprogramm, das spätestens beim gemeinsamen Mitternachts-Jam klar macht, dass das „Im Grünen“ für Genre-Schubladen zu eng ist. 

Last.fm

Nach dem gelungenen Start wächst das „Im Grünen“ schon im zweiten Jahr – ohne seine Bodenständigkeit zu verlieren. Petsch Moser, damals auf FM4-Dauerrotation, stehen neben Disgrace und Torpedo Schoenfeld auf der Wiese.

2007 ist das Jahr, in dem das Festival seinen Ruf endgültig zementiert. The Kilians, Timid Tiger, Fotos, Raggabund – allesamt Acts, die damals gerade durchstarten – rocken die Bühne. Und dann ist da noch eine junge Blasmusik-Kombo aus Übersee: La Brass Banda, die hier eines ihrer ersten Festival-Sets spielen.

Wer damals dabei ist, erinnert sich an die Mischung aus Dorfdisco-Feeling und Weltbühnen-Energie – und an das Gefühl, dass in Kirchanschöring etwas Besonderes entsteht.

Das Line-up wird internationaler und wilder: Mediengruppe Telekommander, Russkaja (mit russischem Ska-Wahnsinn), The Staggers und die Leopold Kraus Wellenkapelle bringen Indie- und Surf-Punk-Vibes. Die Nacht endet mit einem kollektiven Lagerfeuer-Jam, bei dem sogar die Security mitklatscht.

Die Sterne werden gebucht – und auf einmal ist Kirchanschöring auf der Landkarte aller Indie-Fans. Zusammen mit Fiva, Keller Steff und Eight Legs feiern rund 3 000 Besucher am Achenpark.

Das Team beschließt nach diesem Sommer endgültig, die Besucherzahlen zu deckeln, damit das Festival nicht zu einem anonymen Massen-Event verkommt. Qualität statt Quantität wird zur offiziellen Devise – und der Grundstein für den Kultstatus des Festivals.

Mit dem neunten und zehnten Festival (2013/14) perfektioniert die Crew ihr „klein, aber fein“-Rezept: limitierte 3 000 Tickets, aber ein Line-up, das längst über die Region hinaus Resonanz erzeugt. 2014 feiert man das 10-jährige mit einer Rückschau-Bühne, auf der Old-School-Helden aus den Anfangsjahren neben Newcomern stehen – das Set von La Brass Banda gilt noch immer als inoffizielle „Kirchanschöring-Heimkehr“.

2015 geht als „Wanda-Sommer“ in die Dorfchronik ein: Die Wiener schrammeln „Bologna“ in die Abenddämmerung, Fiva rappt auf Bayerisch, Exclusive bringen Synth-Pop, und am Ende liegen alle mit Sternspritzern am Bach – die vielleicht magischste Nacht der Festivalgeschichte. 

2016 wird laut: Bonaparte feuern Konfetti-Kanonen, während Schnipo Schranke und KYTES die Indie-Kids glücklich machen. Die Abschlussrunde mit Heischneida endet im kollektiven Polka-Circle-Pit. 

Festivalticker

 

Im Folgejahr bringt das 13. Festival den bislang größten Besucherandrang: Moop Mama dirigieren eine Brass-Rap-Massensause, Gerard und Fil Bo Riva liefern perfekte Sonnenuntergang-Soundtracks. Zum ersten Mal muss der Einlass wegen Überfüllung kurz gestoppt werden – der Moment, in dem das Team beschließt, künftig noch strenger zu begrenzen. 

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2018 steht im Zeichen der Indie-Darlings: Von Wegen Lisbeth, Leoniden und Gudrun von Laxenburg sorgen für eine Tanzfläche aus wogenden Blumenkränzen und verschwitzten College-Hemden. Der neue Late-Night- Slot der Main Concept-Hip-Hop-Veteranen beweist, dass alte Hasen und Newcomer hier prima koexistieren.

Die Luft war raus und dann kam auch noch Corona

2019, nach fast 15 Jahren, kommt das Festival an einen Wendepunkt. Auflagen, steigende Kosten und Bürokratie belasten das ehrenamtliche Team. Gründer Günter Wimmer zieht sich zurück, viele aus dem alten Kernteam sind längst berufstätig oder haben Familie.

 

Das Jubiläum wird noch groß gefeiert – dann kommt Corona. Eine mehrjährige Pause lässt offen, ob das „Im Grünen“ je zurückkehren wird.

Neustart mit KuKav e.V.

Doch Kirchanschöring gibt nicht auf. Aus dem alten Team und neuen, motivierten Jugendlichen entsteht der Kulturverein KuKav e.V. – Kultur in Kirchanschöring vereint.

Das Festival wird neu gedacht: kleiner, nachhaltiger, regionaler, mit Recycling-Deko, Foodtrucks aus der Umgebung und Bands, die wieder näher am Indie-Charme der Anfangsjahre sind.

 

Seit 2022 lebt das „Im Grünen“ wieder – mit demselben Herzblut, das schon 2005 alles ins Rollen brachte.

Heute: Ein Dorf, ein Bach, ein Festival mit Seele

Was einst als Jugendtreff begann, ist heute eines der bekanntesten DIY-Festivals in Südostbayern. Ein Wochenende im Jahr pulsiert Kirchanschöring – zwischen Dorfidylle und Festivalwahnsinn. Wer einmal barfuß im Gras des Achenparks lag, während La Brass Banda, Wanda oder die Sterne über die Bühne fegten, versteht, warum das „Im Grünen“ trotz aller Krisen überlebt hat.

 

Und warum es wohl auch die nächsten zwanzig Jahre tausende Indie-Fans ins kleine Kirchanschöring ziehen wird.

Alle Bands beim Im Grünen Festival:

2005 Bradley’s H · Dr. Norton · Kanmantu · Pinocchio auf der Flucht · Junk Pile · Springbrett Combo · Carei  Soundsystem

2006 Petsch Moser · Disgrace · Torpedo Schoenfeld · The Real McCoy · Mundwerk‑Crew

2007 Fotos · Timid Tiger · Raggabund · The Kilians · Dr. Norton · La Brass Banda · Sunrise Tribe · The Windbag · Carei Soundsystem

2008 Mediengruppe Telekommander · Russkaja · The Staggers · Leopold Kraus Wellenkapelle · Five!Fast!!Hits!!! · Leeds Club · Mundwerk · Audiots

2009 Die Sterne · Fiva · Keller Steff · Eight Legs · L’egojazz · List · Raggabund

2010 Sprachgewaltig · Mustard Tubes · Taktattackers · Fertig Los! (Indie)

2011 Beat!Beat!Beat! · Jamaram · Angelika Express · Rainer von Vielen (Unplugged)

2012 Ja, Panik · Bratze (Electropunk) · lokale Newcomer (Open-Stage)

2013 Diverse Indie-Acts (Region + Bayern) – Headliner nicht vollständig belegt

2014 10 Jahre Im Grünen – Jubiläumsbühne mit La Brass Banda (Heimkehr-Gig) · Mix aus Rückkehrern und Newcomern

2015 Wanda · Fiva · Exclusive (Synthpop) · lokale Support-Acts

2016 Bonaparte · Schnipo Schranke · KYTES · Heischneida (Polka-Abschlussrunde)

2017 Moop Mama · Gerard · Fil Bo Riva (+ Supportbands)

2018 Von Wegen Lisbeth · Leoniden · Gudrun von Laxenburg · Main Concept (Hip-Hop)

2019 Umse · Mavi Phoenix · Buntspecht · Rikas (+ diverse Supportacts)

2020–2021 Pause wegen Corona

2022 Neustart mit KuKav e.V. – Bands nicht vollständig dokumentiert (lokale Acts + regionale Indie-Headliner)

2023 Nikolaus Wolf · Ströme · Hearts Hearts · Ukulele Death Squad

2024 Ströme · DJ Hell (Electro) · weitere Acts unvollständig dokumentiert

2025 Bradley’s H (Comeback) · SALÒ · Oberst & Buchner · MOLA · FÄTTES B · Caitlin Dalton

Sommerlektüre & Im Grünen Festival

Das Im Grünen Festival hat längst nicht nur Musikgeschichte in Kirchanschöring geschrieben, sondern auch den Weg in die Literatur gefunden.
Im Roman „Sterne sieht man nur bei Nacht“ von Bernhard Straßer (also mir) spielt ein zentrales Kapitel direkt auf dem Festivalgelände am Achenpark.

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