
Wer jetzt „Auto“ liest und sich begeistert auf einen Bericht über PS und Boliden freut, den muss ich enttäuschen. Nichts fasziniert mich weniger als ein Auto. Wobei das nicht ganz stimmt, sonst würde ich diese Geschichte nicht erzählen. Ein wenig interessieren mich Autos schon – wenn auch weniger ihr Design, ihre Geschwindigkeit oder Beschleunigung. Sondern andere Dinge wie alternative Antriebstechniken oder die Geschichten rund ums Auto. Wofür ein Auto steht, was es bewirkt. Denn auch in meinem Leben gab es wenige Ereignisse, die so einschneidend waren wie der Führerschein, das erste Auto – und damit verbunden: die große Freiheit.
Legendärer Rückwärtsgang

Meine Autogeschichte beginnt vermutlich in den 60er Jahren. Da war ich zwar noch nicht geboren, aber mein Papa und seine Brüder hatten ihr erstes Auto. Ich weiß weder die Marke noch die Farbe. Ich weiß nur ein kleines Detail, das genau dieses Auto aber legendär machte: Der Rückwärtsgang war kaputt. Was meinen Papa und seine Brüder nicht daran hinderte, unzählige Abenteuer mit ihrem Auto zu erleben. Sie mussten halt streng darauf achten, nirgendwo hinzufahren, wo man rückwärts wieder hinausfahren musste. Eine Parklücke beispielsweise. Aber damals auf dem Land war die Freiheit mit eigenem Auto riesig – und selbst Parklücken so groß, dass man auch vorwärts perfekt ausparken konnte.
Mit dem Polizeikäfer zur Schule
Das Auto, in dem mein Papa meine Mama kennenlernte, war vermutlich ein VW Käfer mit Blaulicht. Das war nämlich das Dienstauto der Grenzpolizei Laufen, mit dem mich mein Vater Jahre später auch einmal in die Schule gefahren hat. Ich fand es damals nicht halb so cool, wie es sich im Nachhinein anhört.
Das Hochzeitsauto meiner Eltern war 1976 der Mercedes Benz meiner Halbtante. Ich hatte nie ein inniges Verhältnis zu Bonzenboliden wie diesem – und mein eigenes Hochzeitsauto war 35 Jahre später eine Kutsche.
Renault – das Dorfauto von Kirchanschöring

Aus irgendeinem Grund waren die ersten Autos meines Lebens – ich kam 1978 zur Welt – alles Renaults. Vermutlich lag es daran, dass der Kirchanschöringer Hufschmied Anfang des Jahrhunderts, als sich selbst in Anschöring immer mehr Fortschrittsidealisten vom florierenden Wirtschaftszweig der Pferdezüchter und Schmiede abwandten, auf eine Autowerkstatt umsattelte. Da er eine Kooperation mit der Automarke Renault einging, fuhren ab den sechziger Jahren so ziemlich alle Menschen in meiner Heimatgemeinde einen Renault. Außer die Bauern – die hatten ja ihren Deutz-Traktor.
Der orangerote R5 – und mein kindlicher Verrat

Meine Eltern zelebrierten die ersten unbeschwerten Jahre einer frischen Liebe in einem weißen R4. Und gründeten in einem orangeroten Renault 5 eine Familie. In meinen frühesten Kindheitserinnerungen sitzen ich und meine Schwester hinten im Kindersitz des wirklich winzig kleinen Renaults.
Obwohl es das Auto meiner Kindheit war, beging ich als Kind einen gnadenlosen Verrat am orangen Flitzer. Als wir zu viert beim Renault-Händler einen wesentlich größeren roten Renault 18 besichtigten, argumentierte ich messerscharf gegen den schnöden Kleinwagen, für den ich mich offensichtlich schämte: Ich steckte meinen Finger in ein Rostloch im Kofferraum und führte als triftiges Argument an, dass wir Kinder uns im orangen R5 nicht einmal angurten konnten.
Ob mein Vater, der jahrelang keinen Rückwärtsgang gebraucht hatte, meiner Argumentationslinie folgte, weiß ich nicht mehr. Aber das „Bitte bitte!“ von uns beiden Kindern hat mit Sicherheit gewirkt. Das größere Auto war auch bitter notwendig, weil wir bald zu fünft waren. Unser Familienauto blieb für den Rest meiner Kindheit ein R18 – einzig die Farbe wechselte nach einigen Jahren von rot nach weiß.
Führerschein in den USA – mit Herzinfarktgarantie
Meinen Führerschein machte ich übrigens in den USA. Das war wesentlich günstiger als in Deutschland und funktionierte so: Ich musste fünfmal in die Theoriestunde der Fahrschule, hatte drei Fahrstunden. Den Rest der Zeit durfte ich – mit einem Erwachsenen im Auto – schon mal munter Autofahren üben.
Unser Auto war – ganz untypisch für die USA – ein kompakter Nissan, vermutlich ein P10 mit Automatikgetriebe. Bei meinen ersten Fahrten bekamen abwechselnd ich oder meine Tante, die Beifahrerin war, einen Herzinfarkt. Irgendwann fuhr ich aber auch am Highway ohne das Gefühl, jeden Moment sterben zu müssen.
Die Theorieprüfung bekam ich quasi mit der Überweisung der Fahrschulkosten geschenkt. Und die praktische Prüfung bestand aus 15 Minuten unfallfreiem Stadtverkehr und einmal rückwärts einparken. Auf dem Führerscheinfoto, das direkt nach bestandener Prüfung aufgenommen wurde, strahlte ich wie ein Honigkuchenpferd.

Zu Hause durfte ich mit meinem internationalen Führerschein noch ein komplettes Jahr Autofahren. Als erfahrener USA-Autofahrer trat ich sehr selbstbewusst im deutschen Straßenverkehr auf – und derjenige, der diesmal kurz davor war, einem Herzinfarkt zu erliegen, war mein Papa, der mir das Fahren mit Gangschaltung beizubringen versuchte.
Als nach einem Jahr meine deutsche Führerscheinprüfung anstand, machte ich vorsichtshalber doch noch ein paar Fahrstunden. Ich war als Autofahrer mit fast zwei Jahren Fahrpraxis leider schon zu lässig – und wäre beinahe durchgefallen, weil ich vor lauter Ratschen vergaß, bei Grün loszufahren.
Mein erster Renault – vom Pfarrer vergeblich gesegnet
Sobald ich mein erstes Geld verdiente, drehten mir meine Eltern ihren Gebrauchtwagen an. Es war ein recht seltsamer Renault 19, der nicht tiefergelegt, sondern eher höhergelegt war. Der Vorbesitzer war der Pfarrer gewesen. Im Autoradio steckte noch eine Kassette mit den schönsten Marienverehrungsliedern. Neben dem Zigarettenanzünder war eine Christophorus-Plakette angeklebt – und das Auto war selbstverständlich gesegnet.
Der Segen blieb allerdings erfolglos. Meine Mutter, die das Auto parallel nutzte, wurde in einen schweren Unfall verwickelt. Ihr ging es den Umständen entsprechend gut, aber mein allererstes eigenes Auto fing Feuer und sorgte für einen mittelgroßen Feuerwehreinsatz.
Der Opel Astra Kombi – mein liebstes Auto

Danach begann eine neue Ära. Ich bekam einen neuen Gebrauchtwagen, der diesmal mir allein gehörte und für den ich ganz verantwortlich war: ein Opel Astra Kombi. Bis heute mein allerliebstes Auto aller Zeiten.
Mit ihm fuhr ich fast wöchentlich zum Studium nach Mannheim und zurück. Ich übernachtete in ihm auf unzähligen Festivals, machte meine ersten Urlaubs-Roadtrips. Eine Weile hatte er Auspuffprobleme – und wenn ich durchs Dorf röhrte, wusste man schon von Weitem, dass ich wieder da war.
Auf dem Weg nach Mannheim ist mir der Auspuff dann halb heruntergebrochen. Ich ließ ihn in einer Klitsche in meiner Straße reparieren. Der Handwerker war total freundlich und bestand nicht einmal darauf, mir eine Rechnung auszustellen. Eine Woche später krachte der Auspuff wieder runter. Den Mannheimer Hinterhof-Werkstätten entzog ich fortan mein Vertrauen.
Vom Astra zum Kalos – Flüssiggas statt Treibstoffromantik

Ich weiß bis heute nicht, warum ich dieses perfekte Auto jemals aufgegeben habe. Vielleicht lag es daran, dass er eines Tages die 300.000 Kilometer überschritten hatte. Und ich hätte ihn wohl auch danach nicht verkauft, wenn nicht eine neue Technologie mein Interesse geweckt hätte: Mir wurde ein Chevrolet Kalos angeboten, der mit Flüssiggas fuhr. Umweltfreundlich und günstig.
Es war mein erster und einziger Neuwagen. Ungefähr einen Monat nach dem Kauf geriet ich in einen heftigen Hagelsturm auf der A8. Danach hatte ich keinen Neuwagen mehr. Aber das Auto war abbezahlt, ich wieder schuldenfrei. Der Hagelbegutachter musste den ersten Termin absagen – er war selbst in einen Hagel geraten. Beim zweiten Termin schaute er mich mitleidig an und seufzte: „Da ist ja kein einziges Teil heil geblieben.“ Mir war’s egal – ich fuhr das Auto noch sechs Jahre.
Familie, Kombis und dubiose Händler

Ich war inzwischen auf dem Papier erwachsen, verheiratet, hatte ein Kind – und unser Kalos war bald nicht mehr das perfekte Familienauto. Eine Weile überbrückten wir uns mit dem alten Astra Kombi meines verstorbenen Vaters. Noch ein Astra, aber nicht mehr derselbe: Mein Papa hatte das Auto offensichtlich primär für Waldarbeiten genutzt, und ich bekam es nie richtig sauber.
Für einige Ikea-Eskalationen war er aber groß genug. Ich verkaufte ihn später an einen dubiosen Autohändler aus der Ukraine, der mich um 500 Euro übers Ohr haute. Trotzdem zeigte ich ihm im Führerhaus sitzend noch den Weg aus Ettendorf heraus – sonst würde er heute noch mit seinem Autotransporter im Georgiweg feststecken.
Vom Fabia zum Auris – Hybrid mit Dachbox
Später fuhren wir einen Skoda Fabia Kombi, der aber nicht kombihaft genug war, um darin zu schlafen. Die große Liebe blieb aus. Die Kinder schwärmen heute noch von diesem Wagen – vermutlich, weil wir uns danach nur noch verkleinerten.
Wir gaben den Fabia und den Toyota Yaris Hybrid meiner Frau in Zahlung, um einen Toyota Auris Hybrid zu kaufen. Ich wollte möglichst wenig CO₂ ausstoßen. Die Kinder rümpften die Nase – nicht nur, weil wir nur noch ein Auto hatten, sondern auch, weil der Auris kleiner war als der Auris (ja, tatsächlich!). Wir fuhren dennoch mit dem vollgepackten Auris zehn Tage nach Kroatien – und kauften erst anschließend eine Dachbox.
Während alle anderen Männer ihre Autos nach Beschleunigung und PS beurteilten, war mir der Verbrauch wichtig. Ich versuchte, den perfekten Durchschnitt zu fahren – vergeblich. Besonders, wenn meine Frau fuhr, die den Schnitt regelmäßig ruinierte. Auch meine Mitmenschen hinter mir, die nicht verstanden, warum ich Anstiege mit 70 km/h bewältigte, hatten wenig Verständnis für meine vorbildliche Fahrweise.
Endlich elektrisch – der Mii macht wieder Spaß
Nach über zwei Jahren mit nur einem Auto kapitulierten wir vor dem Familienleben auf dem Land. Ein neues Zweitauto musste her. Die Kinder wünschten sich einen Toyota C-HR oder gleich einen Tesla. Ich einen Corolla Hybrid Kombi. Alles zu teuer.
Ich kaufte mir einen der kleinsten verfügbaren Elektro-Gebrauchtwagen: einen Seat Mii electric. Der kleine rote Flitzer hat mir das Fahrvergnügen zurückgebracht. Sportlich fahren und wenig verbrauchen – ein Traum. Ich rase wieder den Wonneberg mit 100 km/h hoch (außer bei Nässe) und wenn ich zu viel verbraucht habe, tanke ich mit meiner gratis Sonnenenergie wieder nach – und alle sind happy.
Und das Auto der Zukunft?

Wenn ich es mir wünschen könnte, würde ich künftig gerne einen geräumigen Elektro-Kombi fahren, mit dem ich problemlos 500 km komme. Ich bin jetzt schon gespannt, was meine Kinder einmal aufschreiben werden, wenn sie die Geschichte ihrer ersten Autos zu Papier bringen.
Vielleicht lassen sie sich dann in selbstfahrenden Autos durch die Gegend kutschieren. Oder die Autos können sogar fliegen! Wahrscheinlicher ist aber, dass sie gar kein Auto mehr brauchen – weil die Technologie überflüssig geworden ist. Und wäre das nicht das Allergescheiteste?
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