Die weihnachtliche Begegnung mit dem Käzänmann

Jetzt ist sie also da, die stade Zeit, die finsteren Raunächte. Für den Sebastian die schönste Zeit seines noch kurzen Lebens, da es für ihn nichts Schöneres gibt als "Baga" und "Käzän". Der Bagger stand schon vor dem ersten Advent wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk vor dem Haus und Woche für Woche werden seitdem mehr Kerzen angezündet.

Das Morgenritual läuft Tag für Tag gleich ab: Der kleine Kerzenfreund stürmt in das Wohnzimmer, fuchtelt, auf den Tisch zeigend, die Hand durch die Luft und schreit empört: "Käzä! Käzä! Aus! Nein, Nein, Nein!" Dann rennt er zur Kommode und versucht, die oberste Schublade zu öffnen. Ab jetzt muss die Mama helfen. In der Schublade sind nämlich die Kerzen seines Adventskalenders und die Mama sucht die richtige aus. Der Papa nimmt schon mal am 12. Dezember Kerze Nummer 21...
Jetzt darf sich der kleine Prinz in seinen Thronsessel setzen, von wo aus er mit großen Augen beobachtet, wie erst die Kalenderkerzen und anschließend der Adventskranz illuminiert werden. Ich sag's Euch: wir haben jeden Morgen schon Weihnachten. Schöner kann's am Heiligabend gar nicht mehr werden.
Man kann sich jetzt vielleicht vorstellen, wie der Lichterfreund ausflippt, wenn er auf einem Weihnachtsmarkt ist.
Ein ganz besonders schöner, so haben wir uns sagen lassen, befindet sich in einem abgelegenen Wald bei Halsbach. Dort sei die schönste, besinnlichste, romantischste Weihnacht der Welt und nur dort könne man dem Geist der wahren Weihnacht begegnen. Ach ja, Kerzen gäbs dort auch, versprach man uns.
Mit Freunden aus Augsburg suchten wir also nach diesem verzauberten Ort. Wir folgten irgendwann einem Auto mit Berliner Kennzeichen und wunderten uns noch, was ein Berliner so weit draußen zu suchen hat. Dann wurde die Autoschlange immer länger, denn sie staute sich hinter ungefähr fünftausend Reisebussen. Dann wurden wir von einem der freiwilligen Dorf-Feuerwehrler auf den ungefähr größten Parkplatz seit mindestens Woodstock oder so, eingewiesen. War eigentlich klar, dass wir nicht die einzigen Menschen auf der Welt sind, die den besinnlichsten Weihnachtsmarkt aller Zeiten erleben wollten. Zusammen mit ungefähr sechzehntausend anderen Menschen zwängten wir uns in den Wald, hoffend, dass sich die Leute schon irgendwie verlaufen würden. Und tatsächlich, ganz am Ende, hinter dem Glühweinthemenwald und dem Hippieholzspielzeugthemenwald, dort, wo es so steil bergab ging, dass die Kinderwägen massenweise seitlich hinunter kippten, dort waren wir endlich fast so gut wie alleine. Wären die anderen, die ebenfalls etwas Einsamkeit suchten, nicht gewesen. Ein kurzer Feldweg führte tiefer in den Wald hinein und hier, tatsächlich und wahrhaftig hier, wo sich die wenigsten hinwagten, begegneten wir dem Geist der wahren Weihnacht: Es war ein warm angezogener Mann, der mit einem Feuerzeug in den Handwerkerhänden, den Weg entlang schritt und die Hunderte, den Wegrand säumenden Kerzen anzündete. Sebastian schaute ihn mit großen, ehrfürchtigen Augen an, als stünde das leibhaftige Christkind vor ihm der Mann erwiderte den Blick, würdig nickend und setzte seine verantwortungsvolle Arbeit fort. Sebastian strahlte übers ganze Gesicht. Dann packte er beherzt zu und begann, die flackernden Kerzen einzusammeln. Wäre ja schade darum, sie hierzulassen.
Einig waren sich alle, die dieser magischen Begegnung beiwohnten: Sebastian hatte gerade seinen Traumberuf entdeckt: Kerzenmann bei der Waldweihnacht.
Als er später noch eine kleine Laterne geschenkt bekam, die er stolz hin und her schwenkte, kam noch ein zweiter hinzu: Nachtwächter!

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