Das Corona-Tagebuch: Die Nummer 1 in Deutschland

Jetzt haben wir den Salat. Traunstein hat es sich nicht lange bieten lassen, dass der Nachbarlandkreis der Nummer 1 Corona-Hotspot in Deutschland ist. Drei Wochen später steht nun Traunstein unangefochten ganz oben auf der Corona-Tabelle der höchsten 7-Tages-Inzidenzwerte in Deutschland. Was das für uns Eltern bedeutet, wissen wir noch nicht.
Die Kinder haben im Moment sowieso andere Sorgen. Sie wollen auch an die Spitze Deutschlands. Allerdings wollen sie Germanys next Top-Rockstar werden. Zuletzt durften die Kinder mit uns "Voice of Germany" anschauen und wir haben eine Tür geöffnet, die wir vielleicht lieber verschlossen gelassen hätten. Leonard legt seitdem schon früh morgens wert darauf, seine "Rocker-Hose" anzuziehen. Haben wir ein Glück, dass wir die Jeans mit Löchern in Kniehöhe (also so ziemlich alle) noch nicht aussortiert haben. Wenn er dazu keine Sonnenbrille trägt, hat er entweder ein Singstar-Mikrofon in der Hand, einen Kopfhörer auf dem Kopf, oder er begnügt sich mit der Luftgitarre und gibt seine selbst komponierten Lieder zum Besten. Die Lieder haben alle eine Melodie, die entfernt an Songs von Mark Forster oder Nico Santos erinnern. Die Melodie wird von einer sehr nasalen, teils kehligen, meist aber einfach nur durch spuckend vibrierende Lippen erzeugt, die mit etwas Fantasie nach englischer Sprache klingen. Noch wichtiger aber sind die Rocker-Posen, die man sich bei Voice of Germany von Teilnehmern und  den Juroren ganz gut abschauen kann.
Noch leben wir eine trügerische Familien-Idylle. Nach den Allerheiligenferien haben Schule und Kindergarten unauffällig gestartet, obwohl die hiesigen Zahlen schon vorher begonnen haben, auf exponentiellen Galopp umzuschalten. 
Für Eltern wie uns war es nicht einmal ein "Lockdown light", sondern gar kein Lockdown. Denn außer Kinder zur Schule bringen, selbst in die Arbeit gehen und Abends übermüdet vorm Fernseher einschlafen, war in unserem Leben schon vorher wenig mit Kultur und Kulinarik geboten. Solange die Schulen regulär geöffnet hatten, konnten wir unser gewohntes Leben wie in einer Blase fortsetzen. 
Dieses seltsame Gefühl, dass es politisch richtig ist, die Schulen geöffnet zu lassen, aber in Sachen Pandemiebekämpfung vielleicht nicht ganz so ideal, bestätigte sich Tag für Tag beim Betrachten der Traunsteiner Corona-Zahlen:
Heute Nachmittag hat Traunstein offiziell die 400er-Schallmauer durchbrochen: 7-Tages-Inzidenz von 417. Kann sich irgendwer  noch an die 30er und 50er Grenzen erinnern? Interessiert vier Wochen später keine Sau mehr. 
Besorgniserregender sind allerdings die Krankenhauszahlen. Auch diese verdoppeln sich zuletzt in immer schnellerer Geschwindigkeit. Aktuell sind es bereits 49 Fälle im Traunsteiner Krankenhaus. Davon 10 in Intensivbetreuung. 
Landrat Sigi Walch hat bereits begonnen, in ebenfalls exponentiell ansteigenden Abständen Videostatements auf die längst angespannte Lage hinzuweisen. Die große Frage für uns Eltern wird sein: Werden die Schulen geschlossen? Werden sie auf Schichtplan umstellen? Funktioniert Online-Homeschooling? Sicher scheint - in Erinnerung an die explodierenden Zahlen in BGL im letzten Monat nur zu sein, dass die Verantwortlichen reagieren werden. Nummer 1 in Deutschland wollen CSU-Politiker beim Thema Corona nicht wirklich sein.
Bisher hat noch keiner explizit gefragt, wie es uns im Hotspot-Krisengebiet geht und ich wüsste auch nicht, was ich außergewöhnliches antworten sollte. Denn anders als im April fühlt sich das Leben sehr nach Routine an. Jeder weiß was zu tun ist, Maske auf, Abstand und weiterleben. Nur die Großeltern besuchen wir derzeit nicht. Da sind wir aber eher die Ausnahme. Aber sicher ist sicher.
Die Kinder selbst sind sowieso entspannt bezüglich Corona. Sie haben jetzt Paw-Patrol- und FC Bayern-Masken, da kann man sich auch optisch draußen blicken lassen.
Und noch eine Kleinigkeit ist mir endlich gelungen: Es hat einige Jahr gedauert, aber endlich ist der Größere so verrückt nach Büchern (oder nach Gregs Tagebuch), dass er sogar beim Abendessen das Buch nicht aus der Hand legen will. Manche nennen es schlechte Manieren. Ich nenne es "Mein Sohn!"

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