Die Elektrifizierung Kirchanschörings

Der Bau des Wasserkraftwerks Lebenau

Der neueste Beitrag der Serie "Heimat und Geschichte" beschäftigt sich mit der Elektrifizierung von Kirchanschöring in den 1920er Jahren. Die Elektrifizierung kam erst spät, aber dann mit voller Kraft und wurde durch den Bau des Wasserkraftwerks in der Lebenau und den damit verbundenen Kanalbau beherrscht.

Als Kirchanschöring ein Licht aufging

Die Bannmühle in Kirchanschöring heute
Die Bannmühle in Kirchanschöring heute

Der elektrische Strom kam recht spät nach Kirchanschöring. Dann aber mit voller Kraft. Die gesamten Zwanziger Jahre beherrschte das Thema Strom, Wasserkraft und Elektrifizierung die Gemeinde Kirchanschöring. Der erste Strom, sowie der Bau des Wasserkraftwerks in der Lebenau mit dem damit verbundenen Kanalbau waren die wichtigsten Errungenschaften der von 1920-1930 währenden Amtszeit von Bürgermeister Sebastian Straßer.

 

Die Elektrifizierung begann in Deutschland bereits 1880 mit kleineren Gleichspannungs-Netzen. Während im Nachbardorf Fridolfing der Strom-Pionier Alois Rehrl über seine Mühle bereits 1893 einen Teil Fridolfings mit Strom versorgte, sollte es in Kirchanschöring noch bis ins Jahr 1919 dauern, ehe überhaupt über das Thema Elektrifizierung im Gemeinderat abgestimmt wurde.

Der Gemeinderat lehnt die Elektrifizierung ab

Nach den Entbehrungen in der Zeit des Ersten Weltkriegs war die Stimmung im Gemeinderat allerdings nicht nach modernen Veränderungen. Vielleicht lag es auch daran, dass innerhalb zweier Jahre auf den langjährigen Bürgermeister Lorenz Stockhammer Josef Stadler, Weltschuster vom Dürnberg folgte, der allerdings nach kurzer Zeit wieder abtreten musste. Auf ihn folgte 1920 der Jellenbauer und Kriegsteilnehmer Sebastian Straßer. Jedenfalls lehnte der Anschöringer Gemeinderat 1920 die geplante Elektrifizierung des Dorfes ab. Erst ein Jahr später, im November 1921 erhielt Jakob Schmied, Betreiber der Bannmühle, die Konzession für die Stromversorgung der Gemeinde. Schmied hatte der Gemeinde ein Angebot gemacht, das „mustergültig und preiswert“ war. In der Folge gewann die Elektrifizierung Kirchanschörings an Dynamik. Der Sägewerksbesitzer Simon Langl erhielt für die Höfe rund um Neunteufeln die Konzession für die lokale Energieversorgung. 

 

Bürgermeister Sebastian Straßer
Bürgermeister Sebastian Straßer

Sebastian Straßer, Bauer vom Jellenbauernhof, wurde bereits mit 33 Jahren Witwer und heiratete später ein zweites Mal. Er nahm von 1914-1918 am 1. Weltkrieg teil und war von 1920-1930 Bürgermeister von Kirchanschöring. In seine Amtszeit fiel der Bau des Kanals zum Kraftwerk Lebenau. Er hatte insgesamt 11 Kinder. Zu seinen Nachkommen gehörten zahlreiche Persönlichkeiten, die das politische und kulturelle Leben Kirchanschörings jahrzehntelang prägten wie Altbürgermeister Hans Straßer.


Die Hammerschmiede vom Niedermayer
Die Hammerschmiede vom Niedermayer

Auch die Hammerschmiede beim Niedermayer, seit Jahrzehnten angetrieben von der Wasserkraft der Ache, wurde nun neben dem Wasserrad zusätzlich über eine Dynamomaschine angetrieben. Auch die umliegenden Häuser, darunter der Jellenbauernhof von Bürgermeister Straßer, wurden dadurch mit elektrischem Licht versorgt.

Das Kraftwerk Lebenau und der Kanalbau

Mit dem steigenden Strombedarf war es absehbar, dass dieser nicht auf Dauer durch die vorhandenen lokalen Mühlen gedeckt werden konnte. In der nahegelegenen Lebenau wurde der Bau eines Wasserkraftwerks geplant. Dies sollte gravierende Konsequenzen für die Ache und die Kirchanschöringer Mühlen und Kraftwerke haben. Das neue Wasserkraftwerk bedrohte unmittelbar die Existenz einiger Bauern. 

Um die benötigte Menge Wasser für das Kraftwerk zu erreichen war es nötig, einen Teil des Wassers der Ache in den Schinderbach umzuleiten. Hierzu wurde ein Staudamm bei Güßhübel geplant, sowie ein Kanal, um das Wasser der Ache in die Lebenau zu transportieren. Der Bach würde einen Großteil seiner Wassermenge verlieren. Die Restmenge, die im Bach verblieb, würde nicht mehr ausreichen, um die flussabwärts liegenden Antriebswelle weiter betreiben zu können. Man einigte sich darauf, dass hohe Abfindungen in Form von kostenlosen Stromlieferungen gezahlt wurden.

 

Der Kanalbau - Foto aus dem Archiv des Heimatvereins Kirchanschöring
Der Kanalbau - Foto aus dem Archiv des Heimatvereins Kirchanschöring

Die folgenden langwierigen Verhandlungen waren der größte Kraftakt Sebastian Straßers als Bürgermeister. Um jede Brücke über den Kanal wurde gefeilscht und die bisherigen Stromversorger des Dorfes waren ebenfalls nicht begeistert vom „großen“ Wasserkraftwerk in der Lebenau. In einer Gemeinderatssitzung wurde sogar beschlossen, links und rechts neben der Brücke bei Güßhübel einen langen Zaun zu bauen. Der Grund war ebenso simpel wie einleuchtend: Damit die berauschten Heimkehrer vom Wirt nicht versehentlich in das Wasser fielen. 

1924 begann der Kanalbau mit primitivsten Mitteln. Im Jahr 1928 konnte das Wasserkraftwerk Lebenau mit einer Leistung von 2500 kW in Betrieb genommen werden. 

Historischer Chiemgau: Alle Beiträge aus "Heimat und Geschichte"

Die Serie "Heimat und Geschichte" in der Südostbayerischen Rundschau:

Heimat und Geschichte - Elektrifizierung Kirchanschörings
Heimat und Geschichte - Elektrifizierung Kirchanschörings